Die Energiewende auf kommunaler Ebene umzusetzen ist ein schwieriges Unterfangen. Doch die Komplexität der Materie darf nicht dazu führen, dass die Bürger ausgeschlossen werden, fordert der StZ-Redakteur Thomas Faltin.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - In letzter Sekunde hat Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) den Schalter umgelegt und beschlossen, in zwei Wochen eine öffentliche Debatte über die Vergabe der Strom- und Gasnetze zuzulassen. Eigentlich hätte der Verwaltungsausschuss schon am Mittwoch einen Beschluss fassen sollen, und zwar in geheimer Sitzung, weil das Kartellamt es so vorschreibt. Doch Kuhn hat bewiesen, dass er bereit ist, unkonventionell, pragmatisch und bürgernah zu handeln.

 

Das Grundproblem ist damit aber nicht vom Tisch: Leider ist der Strommarkt nicht nur in Stuttgart so komplex, dass die meisten Bürger längst auf Durchleitung gestellt haben – wer weiß schon genau, was Smart grid, BHKW oder Konzessionsabgabe bedeuten? Es ist jedenfalls nicht leicht für den Bürger, sich eine Meinung zu bilden. So sind zum Beispiel die Aussagen zur Bedeutung der Stromnetze je nach Protagonist extrem gegensätzlich. Die einen behaupten, der Netzbetrieb sei gesetzlich so stark reglementiert, dass man als Betreiber kaum Spielräume habe. Die anderen sagen, die Netze seien der Schlüssel für die lokale Energiewende; wenn die Stadtwerke Stuttgart sie nicht selbst übernähmen, sei die Wende schon gescheitert.

Die Stadt muss Nägel mit Köpfen machen

Man darf also getrost vermuten, dass sogar viele Stadträte die Materie nicht ganz durchdrungen haben. Tatsächlich dürfte die Meinungsbildung in großen Teilen von Gutachtern und Rechtsanwälten bestimmt worden sein, was ein politisches Problem ist. Zudem gibt es viele Unbekannte. Niemand kann heute sagen, wie hoch die notwendigen Investitionen in die Netze sind und wie sich die gesetzlich festgelegten Durchleitungsentgelte entwickeln.

Aber trotz aller Risiken: wenn Stuttgart es wirklich ernst meint mit der lokalen Energiewende, dann muss die Stadt jetzt Nägel mit Köpfen machen – und das heißt: rein in den Stromverkauf (das ist passiert, aber mit bisher mäßigem Erfolg); rein in die Stromerzeugung (gegen die geplante Biogasanlage in Zuffenhausen und die Windräder im Tauschwald gibt es aber bereits Proteste) und rein in den Netzbetrieb.

Denn eines ist unbestritten: derzeit lässt sich mit dem Netz eine Menge Geld verdienen, zumal in Stuttgart. Mit diesem Geld könnte man die lokale Energiewende vorantreiben und den Strompreis für die Kunden senken. Das ist auch das erklärte Ziel der Stadtwerke.

Sie küssten und sie schlugen sich

Wenn, ja wenn es da die Energie Baden-Württemberg nicht gäbe. Stuttgart unterhält mit der EnBW, die einer der sechs Bewerber um die Netze ist, ein Verhältnis nach dem Motto: Sie küssten und sie schlugen sich. Einerseits hat der Konzern in Stuttgart vieles richtig gemacht und besitzt viel Knowhow. Andererseits war der Atomkonzern für Grüne und SPD immer ein rotes Tuch. Doch die beiden Parteien sind jetzt in ein Dilemma gerutscht, weil dem grün-rot regierten Land 46,75 Prozent der Anteile am Konzern gehören.

Zudem hat die EnBW jüngst viele Bürger verärgert, weil sie den Wasserpreis um zehn Prozent erhöht hat und nun von der Stadt einen Fantasiewert für das Wassernetz verlangt. Das ist mehr als nur kurios: Beim Wasser stehen EnBW und Stadt als Gegner vor Gericht, beim Strom könnte es zur gemeinsamen Sache kommen. Die Attitüde des arroganten Platzhirsches hat die EnBW jedenfalls immer noch nicht abgelegt, und doch sind viele Stadträte aus teils nachvollziehbaren pragmatischen Gründen der Ansicht, dass es vorerst ohne Partner, also vielleicht ohne EnBW, nicht geht. Das wird eine schwierige Abwägung.

Aus diesem Grund tut die Stadt gut daran, ein transparentes Konzept für die Energiewende zu entwickeln, das für jeden verständlich ist. Kuhn hat mit seiner Entscheidung gestern den ersten Schritt getan. Denn eines ist sicher: nur wenn die Bürger Vertrauen in die lokale Energiewende entwickeln, kann diese erfolgreich sein.