Die CDU um Kreisschef Stefan Kaufmann hält die Verluste für eine Momentaufnahme. Die Wahlsieger sagen, sie seien die prägende Kraft. Stuttgart ist grün, sagt die neue und alte Landtagsabgeordnete Muhterem Aras.

Stuttgart - Muhterem Aras, die Vorzeigekandidatin der Stuttgarter Grünen, ist am Morgen nach der Landtagswahl auch nicht durch die Frage zu erschüttern, wie man sich fühle, landesweit als einzige Kandidatin der Alternativpartei Stimmenanteile verloren zu haben. Natürlich darf sie trotz des Verlusts von 0,1 Prozentpunkten mehr als zufrieden sein: Schon 2011 war sie mit hervorragenden 42,5 Prozent Stimmenkönigin der Grünen im Land, nun reichen ihre 42,4 Prozent, um das beste Ergebnis aller Kandidaten einzufahren.

 

Aras: Stuttgart ist grün

Die in Anatolien geborene und in Stuttgart lebende Inhaberin einer Steuerberatungskanzlei ist stolz auf ihre Heimatstadt und die Menschen in ihrem Wahlkreis. Deren Weltoffenheit spiegle sich nicht nur in ihrem Ergebnis, sondern auch im schlechtesten AfD-Resultat (7,0 Prozent). „Stuttgart ist grün“, sagt die Kreisvorsitzende. Man habe alle vier Direktmandate und alle Stadtbezirke gewonnen. „Wir sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, haben uns der dort vorherrschenden Themen angenommen.“ Dazu zählt sie ein modernes Familienbild, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Akzeptanz sexueller Vielfalt, aber auch der Paradigmenwechsel bei Investitionen in die Infrastruktur, die jetzt zuerst für Sanierungen von Straßen und Brücken verwendet würden.

Dem Land gehe es unter Grün-Rot finanziell besser als je zuvor, während es die CDU nicht geschafft habe, nach 58 Jahren in der Regierung die Zeit in der Opposition zu nutzen, um sich inhaltlich und personell zu erneuern. Aras mag sich nicht vorstellen, dass die künftige Regierung nicht von Winfried Kretschmann geführt würde. Die „Deutschland“-Koalition mit CDU, SPD und FDP „darf man dem Wähler nicht antun“. Der Auftrag zur Regierungsbildung liege bei Kretschmann.

FDP: Ampelkoalition nicht um jeden Preis

Das findet auch FDP-Kreischef Armin Serwani nach der Wahlparty, bei der das Zweitmandat für Gabriele Reich-Gutjahr bis morgens um halb sechs gefeiert wurde. Er sehe eine Ampelkoalition mit Grünen und durchaus SPD positiv – allerdings nicht um jeden Preis. Diese Haltung sei der FDP zuletzt nicht gut bekommen.

Der CDU-Kreischef Stefan Kaufmann wähnt die Stadt deutlich weniger durchgrünt als die politische Konkurrenz. Er erinnert daran, dass sie sich bei der Bundestagswahl 2013 noch tiefschwarz präsentierte, und auch bei der Gemeinderatswahl 2014 legte die Union zu, während die Grünen verloren. Die Niederlage vom Sonntag sei schmerzhaft, aber als eine „Momentaufnahme“ zu werten, beeinflusst von den Sondereffekten Flüchtlingskrise und den hohen Sympathiewerten des Amtsinhabers Winfried Kretschmann. Die Bundesregierung habe ja bereits verstanden, die Balkanroute sei dicht, die Bevölkerung werde das bei der nächsten Bundestagswahl würdigen können.

Kotz: Grün-Schwarz wäre gute Mischung

Dann sinke auch der Stern der AfD, die gewählt worden sei, ohne dass deren Anhänger Programm oder Personen gekannt hätten. Und wer regiert künftig? Im Stuttgarter Gemeinderat gebe es zwar punktuell eine Zusammenarbeit von Grün-Schwarz, im Land seien die Schnittmengen aber geringer, hält sich Kaufmann bedeckt.

Der CDU-Fraktionschef Alexander Kotz hat diese Große Koalition im Rathaus organisiert und fände, sie wäre für das Land „eine gute Mischung“, da beide Parteien „ganz viel Breite abdecken“. Es gebe Streitpunkte, über die eine Verständigung aber möglich wäre, etwa bei der Bildung oder der Polizeireform. Meist gehe es „nicht um Krieg und Frieden“ also Unvereinbarkeiten wie einst bei der Atompolitik oder Stuttgart 21. Die CDU müsse sich langfristige Ziele setzen: „Wir müssen uns fragen, wo wir in zehn Jahren stehen wollen anstatt den kurzfristigen Erfolg für Herrn Wolf zu suchen.“ Dass Stuttgart im besten Falle schwarz mit grünen Flecken sei, macht der Fraktionschef an der jüngsten Sonntagsfrage zur Bundestagswahl fest: Hier lägen die Grünen bei 14, die Union dagegen bei 43 Prozent.

CDU sieht Unzufriedenheit mit Grün-Rot

„Stuttgart ist grün“, darauf beharrt Bürgermeister Peter Pätzold. Das zeigten die Landtagswahlen von 2011 und 2016 und die Gemeinderatswahl, bei der die Grünen den hohen Zugewinn nahezu bestätigten. Und natürlich die OB-Wahl, bei der die Union nicht einmal einen eigenen Kandidaten präsentiert hätten. Nachhaltige grüne Politik komme in den Stadtbezirken gut an, Straßenprojekte aus der Mottenkiste wie die Filderauffahrt hätten nicht verfangen.

Das wiederum bestreitet die CDU-Kandidatin auf den Fildern. Stefanie Schorn hat in mehr als tausend Gesprächen an den Ständen durchaus ein Interesse an Verkehrs-, Schul-, Familien- und Sicherheitspolitik registriert – und eine Unzufriedenheit mit der grün-roten Landespolitik. Allein die Flüchtlingskrise habe viele Menschen veranlasst, dieses Mal die AfD zu wählen oder – als mildere Variante – die FDP. Rund 190 000 CDU-Wähler sind landesweit zu den Rechtspopulisten gewandert, 86 000 zu den Liberalen. Außerdem hätten es die Grünen geschafft, die Person Kretschmann von der in vielen Bereichen kritikwürdigen grün-roten Politik abzukoppeln. Die CDU müsse sich nun sowohl personell als auch inhaltlich neu aufstellen.

Im zweiten Anlauf das Direktmandat geholt

Der Anspruch, die Regierungsbildung zu übernehmen, wie es der Spitzenkandidat Guido Wolf formulierte, sei mit 27 Prozent nicht zu rechtfertigen, macht Umweltminister Franz Untersteller deutlich. Es würde vielmehr die Politikverdrossenheit fördern, würde ein Ministerpräsident, den 85 Prozent im Amt sehen, weil er eine klare Haltung habe und verantwortlich mit der Macht umgehe, nicht die Regierung bilden dürfen, so Untersteller.

Er hat im Wahlkreis III im zweiten Anlauf das Direktmandat geholt und findet, dass Grün-Rot gut und zielorientiert gearbeitet habe. Man habe sich in der Opposition das nötige Wissen angeeignet. Er verweist darauf, dass die CDU in keiner großen Stadt das Direktmandat geholt habe. Eine gemeinsame Aufgabe sieht er mit CDU und FDP: die AfD zu entzaubern und sie „klein zu kriegen, wie wir das mit den Republikanern geschafft haben“. Die AfD habe auf die schwierigen Fragen keine Antworten.