Kaum ein Verbrechen hat die Menschen in Ludwigsburg in jüngerer Vergangenheit mehr aufgewühlt als die Tötung von Nadine E. Die Ermittlungen waren ungewöhnlich kompliziert, jetzt beginnt der Prozess – wir zeichnen die Ereignisse der vergangenen Monate nach.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Als im Oktober 2015 die Leiche von Nadine E. gefunden wird, beginnen im Internet die Spekulationen. In teils dubiosen Foren ist Platz für fast jede Theorie. Manche Hobbyermittler stellen gar die These auf, es habe sich um einen Ehrenmord gehandelt – ungeachtet dessen, dass es dafür keinerlei Anzeichen gibt. Die Polizei lässt sich von all dem nicht beirren, taucht Seen nach der Tatwaffe ab, verteilt Flugblätter, wertet kleinste Spuren aus. Am Ende reicht es für eine Anklage. Ob der Täter tatsächlich gefunden ist, muss jetzt der Prozess erweisen.

 

13. Oktober 2015 Es beginnt mit einer Vermisstenmeldung. Der Ehemann von Nadine E. meldet sich am 13. Oktober bei der Polizei und erklärt, seine Frau sei abends mit dem Auto davon gefahren, um ein Brot zu besorgen, und nicht zurückgekehrt. Es beginnt eine Suchaktion, bei der auch Hubschrauber eingesetzt werden, gefunden wird aber zunächst nur der Wagen: an der S-Bahn-Haltestelle Favoritepark. Später verschickt die Polizei Fotos der Vermissten an die regionale Presse und hofft, so an Hinweise zu gelangen. Doch von Nadine E. fehlt jede Spur. Die 36-Jährige und der Angeklagte waren verheiratet und lebten bis zuletzt mit den drei und fünf Jahre alten Kindern im gemeinsamen Haus in Ludwigsburg-Eglosheim, obwohl sie sich getrennt hatten und Nadine E. eine neue Beziehung eingegangen war.

22. Oktober 2015 Aus den schlimmsten Befürchtungen wird traurige Gewissheit: In einem Gebüsch unweit der Pädagogischen Hochschule in Eglosheim wird die Leiche gefunden. Die Kripo installiert eine 55-köpfige Sonderkommission. Klar ist zu diesem Zeitpunkt nur, dass Nadine E. Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Von einem Täter aus dem näheren Umfeld bis zu einem Zufallstäter sei alles denkbar, erklärt die Polizei.

23. Oktober 2015 Die Obduktion ist abgeschlossen. Demnach ist Nadine E. keinem Sexualdelikt zum Opfer gefallen, obwohl ihre Leiche unbekleidet war. Offenbar wollte der Täter die Ermittler auf eine falsche Fährte locken. Vor allem Frauen äußern im Internet und in Gesprächen, dass sie sich nicht mehr trauen, im Dunkeln durch Eglosheim zu gehen. Am Fundort der Leiche haben Verwandte, Bekannte und Freunde Kerzen aufgestellt und Erinnerungsstücke abgelegt. Bei einer Spendenaktion im Netz für die Kinder der toten Frau kommen in den ersten beiden Tagen schon mehr als 4000 Euro zusammen. Beim Präsidium meldet sich ein Zeuge und berichtet, er habe Nadine E. am 12. Oktober gegen 20.30 Uhr in einem Lidl-Markt in Eglosheim gesehen – das würde die Angaben des Ehemanns stützen. „Wir stehen vor einem Rätsel“, sagt die Polizei.

26. Oktober 2015 Mehr als 60 Beamte verteilen in Eglosheim Flugblätter, sprechen Passanten an, reden mit Anwohnern. Fazit: „Der entscheidende Hinweis fehlt.“

2. November 2015 Die Sonderkommission veröffentlicht das wohl letzte Bild, das Nadine E. lebend zeigt. Aufgenommen wurde es gegen 17.30 Uhr in einer Bank. Offenbar kam die 36-Jährige gerade vom Sport, denn sie trägt Sportkleidung – die bis heute nicht gefunden wurde. Die Kripo geht inzwischen mehr als 100 Hinweisen aus der Bevölkerung nach.

9. Dezember 2015 Rund zwei Monate nach der Tat spricht die Polizei erstmals von einem Verdächtigen, einen Mann „aus dem persönlichen Beziehungsumfeld“. Geheim bleibt, um wen es sich handelt, doch der Anfangsverdacht lässt sich in der Folge nicht erhärten. Die Soko konzentriert sich jetzt auf die Auswertung von DNA- und Faserspuren, was dadurch erschwert wird, dass die Leiche fast eine Woche im Freien gelegen hat. „Wir machen Fortschritte, aber die Schritte sind klein“, sagt die Polizei. Es wird bekannt, dass die Leiche massive Schnittverletzungen am Hals aufwies.

21. Dezember 2015 Weil trotz aller Anstrengungen weder eine Tatwaffe noch die Kleidung des Opfers gefunden wurden, beginnt die Wasserschutzpolizei, den Monrepos-See abzutauchen: mehrere Tage lang, Quadratmeter für Quadratmeter. Gefunden wird nichts.

15. Januar 2016 Ein Jogger will beobachtet haben, dass sich Nadine E. bis September 2015 regelmäßig mit einem Mann getroffen hat: auf Feldwegen in Möglingen. Von dem Mann existiert eine genaue Beschreibung, aber seine Identität wird nie aufgeklärt. Heute misst die Kripo dem Hinweis offenbar keine Bedeutung mehr bei.

22. Februar 2016 Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft setzt 2000 Euro Belohnung aus für Hinweise, die zum Täter führen. Es wird zudem darüber nachgedacht, den Fall in der ZDF-Kriminalsendung „Aktenzeichen XY . . . ungelöst“ vorzustellen.

30. März 2016 Die Hinweise versiegen, die Polizei klingt zunehmend pessimistisch und stellt nun ihre eigene Theorie infrage. „Wir schließen nichts aus“, heißt es aus dem Präsidium, und das heißt: auch eine Zufallstat ist wieder denkbar.

4. August 2016 Fast ein dreiviertel Jahr nach der Tat nimmt die Polizei den Ehemann der Getöteten fest, der 43-jährige kommt in Untersuchungshaft. Darüber hinaus erklären die Beamten, dass Nadine E. erstickt wurde und ihr die Schnittverletzungen am Hals postmortal zugefügt wurden – auch das hat der Täter wohl nur gemacht, um die Ermittler in die Irre zu führen. Der dringende Tatverdacht gegen den Ehemann fußt vor allem auf kriminaltechnischen Spuren, weitere Details nennt die Polizei nicht. Da die Ermittler davon ausgehen, dass Nadine E. bereits in ihrer Wohnung getötet wurde, kann sie an jenem Abend nicht mehr im Lidl-Markt gewesen sein. Das bedeutet: inzwischen geht man davon aus, dass sich der Zeuge, der sie dort gesehen haben will, irrt.