„Wolf im Schafspelz“: weder seine Chefs noch Bekannte oder Freunde haben Verdacht geschöpft. Er sei ein Einzelgänger, pflegte aber soziale Kontakte.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Der mutmaßliche Mörder von Tobias mag ein Einzelgänger gewesen sein. Als solcher wird er von denen, mit denen er privat und beruflich zu tun hatte, am Freitag vor dem Landgericht wiederholt beschrieben. Aber völlig zurückgezogen lebte er nicht. Der 48-jährige Bäcker hatte soziale Kontakte, lud diese auch zu sich in seine Wohnung ein – und mit mindestens einem Menschen verband ihn über lange Jahre eine „Männerfreundschaft“, wie es der ehemalige Arbeitskollege selbst ausdrückt. Ein halbes Jahr hatten die beiden in der gleichen Bäckerei gearbeitet und auch danach bis zur Verhaftung des Angeklagten den Kontakt nie verloren.

 

„Ich habe ihn richtig gerne gehabt, wissen Sie, auf so etwas kommt man gar nicht“, platzt es aus dem 45-Jährigen im Laufe seiner Vernehmung heraus. „Nie im Leben“ hätte er ausgerechnet seinem Fahrradkumpel zugetraut, Tobias umgebracht zu haben. Ihm, der ihn, den Jüngeren, immer zurechtgewiesen habe, wenn er mal eine rote Ampel nicht beachtet habe.

Die Tat hatte sich am 30. Oktober 2000 bei einem Weiher in Weil im Schönbuch ereignet. In dem Jahr sei der Kontakt zwischen ihnen weniger intensiv gewesen, weil er selbst beruflich stark eingespannt war, erinnert sich der 45-Jährige.Aber vor 1999 und von 2001 an seien sie sehr viel zusammen Fahrrad gefahren, zum Teil zwei- bis dreimal die Woche für mehrere Stunden. Sie tauschten sich über Fahrradsättel und weiteres Material aus, lasen gemeinsam in Fahrradmagazinen. Der Angeklagte sei auch häufig bei ihm zu Hause gewesen. „Er konnte kommen und gehen, wann er wollte“, erzählt der 45-Jährige. Er war damals verheiratet, sein Sohn ist 1992 geboren. Der 48-Jährige sei zwar nie Babysitter bei ihnen gewesen, „aber ich hätte es mir vorstellen können“. Bei ihnen habe der alleinstehende Freund Familienleben mitgenommen. Nach seiner Scheidung hätten sie sich dann weniger gesehen.

Mehr als 20 Jahre gemeinsam in der Backstube

Über Jahre hat der Angeklagte auch mit einem Ehepaar und einem Energieelektroniker Kontakt gehabt – über einen Opel-Club in Walddorfhäslach lernte man sich kennen. Der Energieelektroniker beschreibt die Beziehung als „lose Bekanntschaft“, man habe sich einmal im Monat getroffen und meist über Technik gesprochen. Dem psychiatrischen Gutachter gegenüber hatte der Angeklagte dagegen gesagt, der Energieelektroniker sei in den Jahren vor seiner Inhaftierung sein „einziger Freund“ gewesen. „Wo ich bei dir war, das waren meine Zeiten, wo es mir gutging, für die Ablenkung möchte ich mich bei dir bedanken“, spricht der Angeklagte den Energieelektroniker am Ende der Vernehmung selbst an – er tut dies an diesem Freitag bei allen Personen aus seinem Umfeld.

„Du kannst dir jetzt vorstellen, warum ich nicht Patenonkel werden wollte“, sagt er wenig später zu dem 41-jährigen verheirateten Feuerwehrmann, den er ebenfalls aus dem Opel-Club kannte. Das Ehepaar hatte dem Bäcker 2007 angeboten, der Pate der Tochter zu werden. Gegenüber dem Paar soll der Angeklagte auch von Suizidgedanken gesprochen haben – entweder 2009 oder 2010. Doch in einem Telefonat beendete der Angeklagte später selbst die Bekanntschaft. Der Feuerwehrmann schildert auch negative Charaktereigenschaften des mutmaßlichen Mörders: zwar sei dieser hilfsbereit gewesen, aber auch rechthaberisch und leicht reizbar.„Nur Positives“ können dagegen die früheren Vorgesetzten des Bäckers über ihren ehemaligen Angestellten berichten. Der sei fleißig, pünktlich, gewissenhaft, fast nie krank gewesen, darin sind sich der Junior- und der Seniorchef der Bäckerei einig. Ging eine Maschine kaputt, reparierte er sie.

Mehr als 20 Jahre standen sie mit dem Angeklagten zusammen in der Backstube. Über Privates sprach man nicht. „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt der Juniorchef, der mit seiner direkten Art kurz Heiterkeit in den Saal brachte. Auch seinem Vater ist „nie etwas aufgefallen“, dabei wohnte der Angeklagte direkt über ihm. „Er war ein Wolf im Schafspelz“, sagt der Seniorchef.