Zu viele wahlberechtigte Bürger: Bei der Bundestagswahl im Herbst wird die Porsche-Gemeinde dem Wahlkreis Ludwigsburg zugeschlagen.

Weissach - Nur ein Kopfschütteln hat Jörg Schweikhardt dafür übrig. Sein FDP-Ortsverband umfasst die drei Gemeinden Weissach, Rutesheim und Renningen. Und eine davon – Weissach – soll von Herbst an nicht mehr zum Wahlkreis Böblingen gehören, sondern zum Wahlkreis Ludwigsburg. „Das macht die Arbeit für uns natürlich schwieriger“, stellt Jörg Schweikhardt schon jetzt fest. Für ihn heißt das: In diesem Bundestagswahlkampf wird er zwei Kandidaten unterstützen müssen, er wird dafür in zwei Wahlkampfkommissionen sitzen, zwei Programme studieren.

 

Bis 2005 war die Welt noch in Ordnung. Damals stimmte das Gebiet des Wahlkreises Böblingen mit dem Gebiet des Landkreises Böblingen überein – lediglich das Bundeswahlgesetz war mit diesem Zustand nicht zufrieden. Denn dieses Gesetz verlangt, dass alle 299 Wahlkreise in Deutschland etwa gleich groß sind. Ist ein Wahlkreis, gemessen an der Zahl der Wähler, mehr als 15 Prozent größer, empfiehlt das Wahlgesetz eine Änderung, ist ein Wahlkreis mehr als 25 Prozent größer, schreibt es eine Änderung des Zuschnitts vor.

„Dieses Thema begleitet mich, seit ich im Bundestag sitze“, sagt Clemens Binninger, der dort 2002 für die CDU erstmals einzog. Sein Wahlkreis Böblingen ist einer der größten Deutschlands und der größte in Baden-Württemberg, an der 25-Prozent-Grenze kratzt er schon immer. 2005 gab es deshalb die erste Änderung: Schönaich, Steinenbronn, Waldenbuch und Weil im Schönbuch sollten dem Wahlkreis Nürtingen zuschlagen werden. Nach heftigem Widerstand aus den Schönbuchgemeinden beschränkte sich der Bundestag auf die Gemeinden Steinenbronn und Waldenbuch.

Der Wahlkreis hat um 22,9 Prozent zu viele Wahlbürger

Damit war das Problem von Böblingens Größe aber nicht gelöst. 303 186 Wahlberechtigte wohnten hier bei der Bundestagswahl 2013 – damit war der Wahlkreis immer noch um 22,9 Prozent zu groß. Und dank neuer Baugebiete allerorten geht der Bevölkerungszuwachs weiter. „Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich der Wahlkreis bis zum Ende der Legislaturperiode 2017 der 25-Prozent-Grenze nähert“, stellte der Bundeswahlausschuss 2014 fest.

Dieser Ausschuss ist ein Gremium, in dem der Präsident des Statistischen Bundesamtes, acht Wahlberechtigte als Beisitzer und zwei Richter des Bundesverwaltungsgerichts sitzen. Der Bundeswahlausschuss holt bei den Landesinnenministerien einen Vorschlag ein, diskutiert diesen und gibt ihn an den Bundestag weiter, der schließlich entscheidet. Der Landesinnenminister 2014 hieß Reinhold Gall (SPD), er schlug vor, endlich auch die Schönbuchgemeinden Schönaich und Weil im Schönbuch nach Nürtingen zu geben.

„Wir wollten den Wahlkreis Böblingen eben nicht an zwei Enden beschneiden“, erklärt die SPD-Kreisvorsitzende Jasmina Hostert im Rückblick das Ansinnen ihres Innenministers. Doch dagegen legte Clemens Binninger ein Veto ein. Der CDU-Abgeordnete ist Mitglied des Innenausschusses – und sitzt damit in dem Gremium, das über die Empfehlungen des Bundeswahlausschusses berät und beschließt. „Ein Wahlkreis ist kein anonymes, statistisches Gebilde, das man beliebig verändern kann“, sagt Binninger. „Der SPD-Vorschlag ging völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei.“

So betreibt Weil im Schönbuch ein gemeinsames Gewerbegebiet mit Holzgerlingen, Schönaich grenzt baulich an die Stadt Böblingen. Wo gibt es also einen gewachsenen Bezug? Wo wäre der Einschnitt nicht ganz so gravierend? Schließlich stieß Clemens Binninger auf Weissach. So kommt es, dass die hier lebenden 5555 Wahlberechtigten im September mit den Ludwigsburgern zusammen wählen.

Weissach: Ein Leben im Dreiländereck

In Weissach selbst sieht man den Wechsel entspannt. „Wir leben eben im Dreiländereck zwischen Böblingen, Ludwigsburg und dem Enzkreis“, sagt Daniel Töpfer, der Weissacher Bürgermeister, zum Wahlkreiswechsel. „Ich sehe darin keine Benachteiligung.“ Auch die anderen Parteien sind nicht so kritisch wie ihr FDP-Kollege Jörg Schweikhardt. Kein Problem, vermeldet etwa Harald Brunner vom Grünen-Ortsverband Rutesheim/Weissach. „Wir unterstützen den Ludwigsburger Kandidaten Steffen Bilger sehr gerne“, sagt der CDU-Vorsitzende Marius Mann. Sein Ortsverband habe das Thema diskutiert, sehe es aber emotions- und leidenschaftslos.

Ein Schmankerl am Rande: So sehr das deutsche Wahlrecht die Neuordnung zwar verlangt hat, so sehr wäre sie beinahe an ihm gescheitert. Denn eine Exklave an der Autobahn 8, die seit 1839 zu Perouse, heute zu Rutesheim, gehört, liegt künftig völlig außerhalb des Wahlkreises Böblingen. Laut Wahlgesetz müssen Wahlkreise aber ein „zusammenhängendes Gebiet“ bilden. Doch auch hierfür fanden die Bundestags-Juristen eine Lösung: Weil diese Exklave unbewohnt ist, sei sie „wahltechnisch unschädlich“, heißt es jetzt in dem Gesetz, das die Neuordnung regelt.