Der neu gewählte OB von Konstanz Ulrich Burchardt will unabhängig sein. Aber es gibt Zweifel, ob er das sein kann. Das CDU- und Attac-Mitglied ist vielen Steigbügelhaltern verpflichtet.

Konstanz - Gerade noch hatte Andreas Jung betont, wie unabhängig der neue Oberbürgermeister von Konstanz doch sei, wie er Stimmen aller möglichen Lager von der CDU über SPD und Grünen auf sich vereinigt habe. Dann drehte er sich um, um einen jungen Mitstreiter von der Jungen Union zu umarmen. „Gott sei Dank!“ entfuhr es dem 37-jährigen Bundestagsabgeordneten und mächtigen Bezirksvorsitzenden der CDU Südbaden. Gott sei Dank haben sie ihren Kandidaten durchgebracht. Ulrich Burchardt, der 41-Jährige Unternehmensberater, der multifunktional wählbar erscheinen sollte.

 

Diese Rechnung war nun aufgegangen. Mit 39,1 Prozent der Stimmen setzte Burchardt sich im zweiten Wahlgang der OB- Wahl in Konstanz klar gegen die Stuttgarter Regierungsdirektorin Sabine Reiser (31,9 Prozent) und die Kandidatin der Grünen, die Konstanzer Patentreferentin Sabine Seeliger (27,6 Prozent), durch. Während die Grüne Seeliger es nicht geschafft hatte, den 1996 erstmals in Deutschland von den Grünen eroberten OB-Sessel zu verteidigen, habe Reiser „verwaltete Bürgerlichkeit“ ausgestrahlt, rief ihr das Lokalblatt „Südkurier“ wenig schmeichelhaft hinterher. Die 50-Jährige musste, ob sie wollte oder nicht, für das alte CDU-System herhalten, das spätestens seit Mappus’ Fall abgewirtschaftet hat.

Sabine Reisers Politkarriere ist am Ende

Das Absurde daran ist, dass Reiser für diese Art CDU gar nicht steht. Dennoch ist ihre Karriere in der Politik nach der dritten Niederlage in Folge nun an ihr Ende gelangt. Was 2000 mit einer erfolglosen OB-Wahl in Überlingen begann, setzte sich 2007 fort mit dem fehlgeschlagenen Versuch, als Dezernentin im Landratsamt des Bodenseekreises dort auch Landrätin zu werden. Nun wurde die Serie mit der verlorenen OB-Wahl in Konstanz vollendet. Gemeinsam an diesen Stationen ist, dass Reiser meist ohne Unterstützung der lokalen CDU-Größen kämpfen musste. Nun hat sie frustriert ihren Verzicht auf künftige Kandidaturen erklärt.

Burchardt hingegen steht für die Idee eines neuen, smarten und unaufdringlichen christdemokratischen Konservativismus. Diese Marke Politiker erscheint wie von Werbestrategen erfunden. Ein Schwarz-Grüner oder Grün-Schwarzer, ganz nach Bedarf. Der jungen, grün-alternativen Wählerschaft in der 85 000 Einwohner zählenden Universitätsstadt wurde er als Burchardt, das Attac-Mitglied, schmackhaft gemacht. Es funktionierte – selbst als der Kandidat einräumen musste, er sei bei den Globalisierungskritikern als passives Mitglied kaum aufgefallen.

Dem konservativen Publikum wurde Burchardt, das Mitglied im CDU-Wirtschaftsrat, als einer von ihnen präsentiert. Einer, der früher bei der DLRG und bei der Freiwilligen Feuerwehr im Ortsteil Kaltbrunn dabei war. Burchardt hatte die gleichen Themen wie Reiser und Seeliger, aber er konnte sie besser verkaufen. Die staufreie Innenstadt mit der neuen B 33, die Start-Ups aus der Fachhochschule und der Universität. Carsharing, Leih-Räder und all die anderen Beispiele für Nachhaltigkeit konnten sich die Wähler auch bei ihm abholen.

Ein Politiker wie Sebastian Turner

Burchardt bildet das neue grün-konservative mittelständische Bürgertum perfekt ab, das die baden-württembergischen Universitätsstädten Konstanz, Freiburg, Tübingen und Heidelberg dominiert. Dieser Politikertypus darf einen schwarzen Kern haben, wenn der Mantel weithin schön grün leuchtet. In Konstanz avancierte der Kandidat so zu einer Art Sebastian Turner. Beide sind PR-Profis – in eigener Sache. Ulrich Burchardt ist einer, der Bücher gegen die Geiz-ist-geil-Mentalität veröffentlicht und der für das in arrivierten grünen Kreisen hoch angesehene Nobel-Versandhaus „Manufactum“ tätig war. Die biedere Grüne Seeliger musste vor dieser Kulisse verblassen. Ihre Einlassungen ließen jedoch auch an ihrer Kompetenz zweifeln. Außer Citymaut, Leihfahrrädern und Carsharing schien sie kaum Maßnahmen zur wirtschaftlichen Förderung zu kennen.

Bei Burchardt, dem neu gewählten schwarz-grünen OB, stellt sich indes die Frage nach seiner Unabhängigkeit. Denn er ist nicht nur dem Bezirksfürsten Andreas Jung verpflichtet, auch CDU-Stadträte wie der ehemalige Fraktionschef Wolfgang Müller-Fehrenbach reklamieren den Sieg für sich. Da ist nicht zuletzt das Lokalblatt, das den Kandidaten kräftig unterstützte und ihm reichlich Gelegenheit zur Selbstdarstellung bot. Sie alle wollen nun mitregieren. Ob und wie Burchardt das zulässt, daran wird sich zeigen, ob er dem Amt gewachsen ist. Anders gesagt: Die Frage ist, ob er der Ulrich wird oder ob er der Uli bleibt.

Der Text wurde am 17. Juli 2012 um 14:06 Uhr von der Redaktion geändert. In einer früheren Fassung wurde Sabine Seeliger als Pharmareferentin bezeichnet, richtig ist allerdings Patentreferentin.