Der Vorstand soll Betriebsräte begünstigt haben. Die Umstände lassen Zweifel aufkommen. Auf die Beweise darf man deshalb gespannt sein, meint StZ-Autor Jörg Nauke.

Stuttgart - Die Stuttgarter Straßenbahnen AG steht vor großen Herausforderungen: finanziellen, wegen der unsicheren Förderung von Investitionen, vor allem aber infrastrukturellen. Bei eventuellen Fahrverboten werden mehr Busse und Stadtbahnen nötig sein, um die Menschen zu transportieren. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich ein von Vorstand, Aufsichtsrat und Belegschaft getragenes Modell, in dem ökonomische und ökologische Interessen einem sozialen Ausgleich nicht entgegenstehen. Damit war es zuletzt nicht mehr weit her: In mehr als 70 Verfahren stritt man sich um Dienstpläne– und die Dienstkleidung wurde auch gestrichen. Nun ist mit den kurzfristigen Gehaltskürzungen bei der Betriebsratsspitze eine weitere Eskalationsstufe erreicht.

 

Da weder OB Kuhn noch die SSB oder die Betriebsräte alle Details der 2008 geschlossenen Vereinbarung dem Aufsichtsrat, geschweige denn der Öffentlichkeit präsentierten, verbietet sich noch eine finale Bewertung, ob die Vergütung angemessen ist oder ob eine unzulässige Begünstigung vorliegt. Zumal ja offenbar alle drei gefertigten Gutachten zu unterschiedlichen Ansichten darüber gelangten, ob freigestellten Mitarbeitervertretern Überstundenpauschalen gewährt werden dürfen – und in welche Gehaltsstufe sie korrekterweise eingruppiert gehörten.

Und jetzt noch ein neutrales Gutachten

Bisher ist nur klar: Der Vorgang ist beispiellos. Bekannt ist lediglich, dass zwei Kanzleien die Grundlage für die Regelung lieferten und sich die Arbeitsdirektorin Sabine Groner-Weber mit einer teils noch geheimen Expertise weit vorgewagt hat, sich folglich ihrer Sache sehr sicher sein muss. Die Vehemenz muss noch nichts besagen, deshalb ist es gut, dass OB Fritz Kuhn ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hat. Auch ein fünftes und sechstes wären denkbar, da fast jeder Arbeitsrechtler das Betriebsverfassungsgesetz anders auslegt. Es gibt Puristen, die auf das Ehrenamt verweisen, und solche, die der Betriebsratsspitze Karrieresprünge und hohe Gehälter gönnen, um die Anfälligkeit für Korruption zu minimieren. Wichtig ist, dass der OB den Konflikt rasch und umfassend klärt, damit sich die SSB-Belegschaft auf die eigentlichen Aufgaben stürzen kann.

Etwas bleibt immer hängen

Aber klar ist auch, dass dieser Streit unabhängig von einer juristischen Bewertung auf allen Seiten nur Verlierer hinterlässt: Ex-Vorstand Reinhold Bauer und Vorstandssprecher Wolfgang Arnold müssen vorerst mit dem Vorwurf der Kollegin leben, (erfolglos) versucht zu haben, sich die streitbare Betriebsratsspitze gefügig zu machen. Sabine Groner-Weber wäre zumindest dann Verliererin, wenn die Vereinbarung von 2008 nicht zweifelsfrei als Begünstigung zu bewerten ist. Und die betroffenen Betriebsräte werden womöglich schon vor den Urteilen in einem Atemzug mit den Kollegen genannt werden, die bei VW oder Siemens schamlos absahnten.