Der Verwaltungsrat soll über die umstrittenen Nachlässe für die Kulturgemeinschaft entscheiden. Die Besucherorganisation kämpft gegen die geplanten Kürzungen – und gegen den Verdacht, öffentliche Mittel seien zweckentfremdet worden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es wird eine Art Showdown am Montag im Stuttgarter Rathaus werden. Wenn Peter Jakobeit dort im Verwaltungsrat der Stuttgarter Staatstheater auftritt, geht es für ihn ums Ganze. Der Geschäftsführer der Kulturgemeinschaft Stuttgart ist wild entschlossen zu kämpfen – gegen Pläne der Theaterleitung und des Aufsichtsgremiums, die aus seiner Sicht die Existenzgrundlage der gewerkschaftsnahen Besucherorganisation gefährden. Seit Wochen wird darum hinter den Kulissen gerungen, werden Verbündete eingeschworen und Allianzen geschmiedet. Nun kommt es, aller Voraussicht nach, zur Entscheidung.

 

Es geht ums Geld, oder genauer: um geldwerte Vorteile in Millionenhöhe. Zur Debatte steht jener Rabatt auf Eintrittskarten, den die Staatstheater der Kulturgemeinschaft seit einer gefühlten Ewigkeit gewähren. Grundsätzlich ist das für beide eine gute Sache: das Theater hat pro Saison etwa 15 Prozent seiner Plätze sicher besetzt, die 35 000 Mitglieder zählende Kulturgemeinschaft kann zu günstigen Tarifen „Kultur für alle“ anbieten. Am Grundsatz rüttelt auch niemand, wohl aber an der Ausgestaltung. Die schaute sich der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks genauer an, als er 2009 den Posten vom legendären, aber auch ziemlich freihändig agierenden Vorgänger Hans Tränkle übernahm.

Der Rabatt wird nur teilweise an die Abonnenten weitergegeben

Was er sah, irritierte ihn mehrfach. Der Rabatt lag mit bis zu 64 Prozent weit über dem anderswo Üblichen; für Karten im Wert von vier Millionen Euro zahlte die Kulturgemeinschaft pro Jahr 1,5 Millionen Euro. Zudem wurde der Nachlass nur teilweise an die Abonnenten weitergegeben; was die Kulturgemeinschaft mit dem Differenzbetrag anfing, blieb diffus. Über all das fand Hendriks keinerlei Verträge oder schriftliche Unterlagen. Also machte er sich daran, die Thematik im Sinne des unmittelbar verantwortlichen Verwaltungsrats aufzuarbeiten. Schon 2010 informierte der Jurist das damals noch CDU-geführte Kunstministerium, die heutige Grünen-Hausspitze um Ministerin Theresia Bauer ist nicht minder problembewusst.

Umgehend begannen Gespräche über eine Rückführung des Rabatts, deren erste Stufe nach der Verwaltungsratssitzung im Mai fixiert wurde: In der Spielzeit 2012/13 sank er auf 42,5 Prozent. In den Folgejahren soll sich die Reduzierung nach Hendriks’ Konzept kontinuierlich fortsetzen, bis auf eine Quote von 32,5 Prozent; zugleich soll es eine „zweite Säule“ für kurzfristig verfügbare Karten geben. So hätte die Kulturgemeinschaft genug Zeit, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Beschließen wollten die Aufseher das indes nicht, ohne Jakobeit persönlich gehört zu haben.

Der Verdacht der Quersubventionierung steht im Raum

Doch den offerierten sanften Sinkflug versteht der Geschäftsführer nicht als solchen, sondern als drohenden Absturz. Von Anfang an machte er massiv Front dagegen – und trug den Konflikt, der eigentlich geräuschlos intern gelöst werden sollte, in die Öffentlichkeit. Per Editorial mobilisierte er die „lieben AbonnentInnen“ gegen den bösen Intendanten, der der Kulturgemeinschaft den „finanziellen Lebensnerv beschneiden“ wolle – womöglich, um einen unliebsamen Konkurrenten auszuschalten. Wenn die Pläne Wirklichkeit würden, so drohte er in Brandbriefen an Regierungsmitglieder, wäre man „gezwungen, uns von zahlreichen kleineren Partnern zu trennen“. Für diese Kulturinstitutionen stelle sich dann die „schiere Existenzfrage“; sie müssten Stadt und Land ihrerseits sofort um Geld angehen. Die Botschaft dahinter: gewaltiger Ärger lasse sich nur vermeiden, wenn es bei mindestens fünfzig Prozent Rabatt bleibe.

Zugleich versicherte Jakobeit stets, die vom Theater vermutete „Quersubventionierung“ gebe es nicht. Die Marge zwischen dem Rabatt, den man erhalte, und jenem, den man weitergebe, diene alleine der Kulturgemeinschaft – um Ausgaben für Miete, Personal, Werbung und mehr zu decken. Eigene Veranstaltungen würden damit nicht finanziert, sie trügen sich selbst. Doch die Darstellung erschien Teilen des Verwaltungsrats nur bedingt nachvollziehbar. Der Geschäftsführer möge doch rechtzeitig vor der Sitzung am Montag „aussagekräftige Unterlagen vorlegen“, bat ihn Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) als Vorsitzender des Gremiums. Beigefügt war eine Liste von Fragen zur internen Organisation und Finanzierung der Kulturgemeinschaft.

Erinnerung an den „Fall Gönnenwein“

Antwort und Unterlagen sind fristgerecht im Rathaus eingegangen, doch ihre Aussagekraft wird dort dem Vernehmen nach als eher dürftig eingeschätzt. Es könne „nicht konkret beziffert werden“, welche der 14 Mitarbeiter wie viel für das Staatstheater arbeiten und welcher Aufwand sonst darauf entfalle, schreibt Jakobeit. Eines seiner Argumente hat eine gewisse Heiterkeit ausgelöst: Ins Feld führt er auch die Beschwerden, die seine Leute entgegennehmen müssten, wenn sich Theatergänger mal wieder über „Nackte auf der Bühne“ oder allzu moderne Inszenierungen beschwerten. Der Geschäftsführer, verlautet aus Kreisen des Verwaltungsrats, müsse sich auf etliche Nachfragen einstellen. Unter Transparenz verstehe man mehr als das, was derzeit auf dem Tisch liege.

Doch womöglich wird die bisherige Praxis auch unter einem anderen Aspekt beleuchtet, der beim letzten Mal nur kurz angeschnitten wurde. Im Mai hatte Hendriks ausweislich des Protokolls von Verstößen gegen das Haushaltsrecht und der „Gefahr der Haushaltsuntreue“ gesprochen – Stichworte, die damals öffentlich kaum Wellen schlugen. Dabei müssten sie jeden halbwegs kundigen Aufseher alarmiert haben, zumal vor dem Hintergrund des „Falls Gönnenwein“. Der frühere Generalintendant schrieb in den neunziger Jahren unfreiwillig Rechtsgeschichte, als ihm die Staatsanwaltschaft wegen Überziehungen in Millionenhöhe „Haushaltsuntreue“ vorwarf. Das Musterverfahren endete nach sechs Jahren mit einer Einstellung gegen die Auflage, dass Gönnenwein auf seine Abfindung verzichte.

Die Prüfung dauer noch an

Schlüsselbegriffe wie „Haushaltsuntreue“ oder „massive Quersubventionierung“ – so stehen sie im Protokoll – müssten eigentlich alle Klingeln schrillen lassen. Doch von einer Prüfung, ob die seitherige Praxis womöglich strafrechtlich relevant war, ist bis jetzt nichts bekannt. Schon wieder den Staatsanwalt im Haus zu haben – diese Vorstellung behagte den problembewussten Mitgliedern des Gremiums offenbar wenig. Man wolle nicht unnötig die Vergangenheit aufrühren, hieß es, sondern die Dinge lieber für die Zukunft unangreifbar regeln.

Auf die Anfrage der StZ, ob eine mögliche Strafbarkeit untersucht oder gar die Abgabe an die Staatsanwaltschaft erwogen worden sei, antworteten Stadt und Land mit einer kurzen, abgestimmten Erklärung. Unmittelbar nach den Hinweisen der aktuellen Intendanz, so OB Schuster, sei man tätig geworden und habe eine Änderung der Praxis veranlasst. „Der Verwaltungsrat prüft den diskutierten Sachverhalt, auch unter juristischen Aspekten. Diese Prüfung dauert noch an.“

In dieser Lage dürfte es dem Gremium schwerfallen, wieder zu satten Rabatten zurückzukehren. Mit einer früheren Einschätzung hatte Jakobeit fraglos recht: Es wäre besser, „wir würden das Problem unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit vom Tisch bekommen“.