Die Kammer hat die Ursache für Staus ermitteln lassen und macht Vorschläge für einen besseren Verkehrsfluss. Gefordert wird ein regionales Programm zum Bau von Park-and-Ride-Parkplätzen.

Stuttgart - Das Image der Region, die für „moderne Mobilität und Wirtschaftsstärke“ stehe, sei wegen der Probleme mit Dauerstau und schlechter Luft in Gefahr. Der Schaden für die regionale Wirtschaft betrage bis zu einer halben Milliarde Euro pro Jahr. Verkehrsbehinderungen seien Gift für den Standort und machten ihn für Ansiedlungen von Firmen unattraktiv. Zu diesem Schluss kommt Andreas Richter, der scheidende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Gegenwärtig erscheint das Gegenteil richtig: sein Stellvertreter Bernd Engelhardt sagte bei einer Pressekonferenz, 235 000 Personen pendelten täglich nach Stuttgart, 82 000 nähmen den umgekehrten Weg, um zum Arbeitsplatz zu gelangen.

 

Richter fordert für die „Stauhauptstadt“ ein Konzept zur Luftreinhaltung und zur Mobilität der Zukunft. Natürlich müssten die Grenzwerte für Schadstoffe eingehalten werden, und er heiße den Luftreinhalteplan des Landes auch gut. Nur Fahrverbote lehnt das Sprachrohr der hiesigen Unternehmen ab. Es gebe bessere Lösungen, die Verkehrsprobleme zu lösen und für eine sauberere Innenstadt zu sorgen, findet der Hauptgeschäftsführer.

IHK sieht den Abriss der Friedrichswahlrampe positiv

Kurzfristig könnten durch die Entzerrung von Brennpunkten, eine verbesserte Verkehrsführung und mehr Informationen für Autofahrer Staus vermieden werden – ein stetiger Verkehrsfluss senke die Gefahr von wiederum stauprovozierenden Auffahrunfällen. Positiv sieht die IHK etwa das von einer Gemeinderatsmehrheit befürwortete Vorhaben, die Rampe Friedrichswahl in Zuffenhausen durch eine direkte Verbindung zu ersetzen. Auch am Teiler B 10/ B 14 könnten durch Umbauten die Unfallzahlen gesenkt werden. Grundsätzlich sei der Ausbau des städtischen Straßennetzes weder erstrebenswert noch möglich. Als aktuellen Beitrag zur Debatte habe die Kammer die Stauursachen in Stuttgart systematisch aufarbeiten lassen, sagte Richter. Die neuralgischen Knoten wurden in einer Studie der PTV Transport Consult GmbH im Oktober und November 2016 identifiziert. Die Untersuchung „Dem Stau auf der Spur“ bewertet das Verkehrsaufkommen anhand von GPS-Daten aus Fahrzeugen und zeigt Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten auf. Für 2500 Messabschnitte hatte man die Reisezeiten abgefragt und die Verkehrslage abgeleitet.

Wenig überraschend erscheint die Erkenntnis, dass Staus aus einer Überlastung der Kapazität des Straßennetzes resultieren und es zur Linderung nur zwei Möglichkeiten gibt: Man reduziert die Verkehrsbelastung (etwa durch den Umstieg auf den Nahverkehr oder durch Fahrverbote) oder erhöht die Kapazität (durch Straßenneu- und ausbau). Ermittelt wurde aber auch, dass das Straßennetz nur in den Spitzenzeiten morgens und abends überlastet ist. Dann erreicht der Pendler im Schnitt nicht einmal Tempo 30, an zehn Brennpunkten sogar weniger. Die Untersuchung zeigte zudem, dass es „keine einfachen und zielkonfliktfreien Lösungen“ gebe. Ein Risiko sei, dass durch neue Straßen mehr Autoverkehr angelockt werden könnte.

Kritik an der Stadt wegen der Gäubahn

Die IHK fordert mehr Kapazitäten im öffentlichen Nahverkehr. Würde aber erst 2025 der Takt erhöht, sei es zu spät. Wichtig seien auch die Tangentiallinien, die die Innenstadt meiden, sowie die Einrichtung von Expressbussen. Den Erhalt der Gäubahn dürfe die Stadt nicht länger als Tabuthema betrachten.

Für den motorisierten Individualverkehr setzt die Kammer mittel- und langfristig auf die Ausbau-Variante, auf „nicht unumstrittene Tangentialen“ wie den Nord-Ost-Ring und eine zusätzliche Filderauffahrt. Anders als die Stadtverwaltung, die den Nord-Ost-Ring auch deshalb ablehnt, weil er keine nennenswerte Entlastungswirkung für die City entfalten würde, da dort der Durchgangsverkehr nur zehn Prozent betrage, geht die IHK von 30 Prozent Transit aus. Viele Fahrten durch den Heslacher Tunnel hätten ihren Ursprung östlich von Stuttgart und führten in den Südwesten oder in den Raum Sindelfingen. Auch Ausweichverkehr, um andere Staustellen zu umfahren, führe zu vollen Straßen im Stadtgebiet. So würden Autofahrer bei Stau die A8 bei Möhringen meiden, sorgten aber so wiederum für Stau in Vaihingen.

Diskutanten in den Schützengräben

Nötig sei eine konstruktive Debatte und ein Kompromiss, so Richter. Derzeit würden aber alle „in ihre Schützengräben hüpfen“. So müsse sich etwa die Stadt Fellbach fragen, ob sie nach dem Bau des Kappelbergtunnels nicht etwas zurück zu geben habe. Stattdessen lehne die Kommune aber den Nord-Ost-Ring ab. Er schlägt zudem zwei weitere Fahrspuren im Heslacher Tunnel nur für den stadtauswärtigen Verkehr vor, weil es in Stuttgart vor allem mit dem Abfluss hapere. „Keinen Aufschub“ dulde die Nord-Süd-Straße in Vaihingen.

Künftig müssten Ampelanlagen noch konsequenter in Abhängigkeit vom Verkehrsaufkommen gesteuert werden. Gefordert wird zudem ein regionales Programm zum Bau von Park-and-Ride-Parkplätzen. Die Entzerrung von Verkehrsspitzen könnte ebenfalls einen Beitrag zur Entlastung der Straßen liefern. Die IHK denkt an flexible Arbeitszeiten, verschobenen Schichtzeitenbeginn und Homeoffice. Aber alles habe seine Grenzen, bedauert Richter. Im Einzelhandel oder bei öffentlichen Verwaltungseinrichtungen erwarteten Kunden Öffnungs- und Servicezeiten in einem ganz bestimmten zeitlichen Rahmen.