Eine geplante Felchenzuchtanlage erhitzt rund um den Bodensee die Gemüter. Die einen sehen in den Gehegen eine Chance, die anderen wittern ein Komplott von Politikern und Investoren.

Hagnau/Langenargen - Das kleine Boot prescht durch den vom Wind aufgepeitschten grauen See. Gischt spritzt rechts und links des türkisfarbenen Bugs, der Motor knattert. In seinem dunkelgrünen Wachszeug duckt Martin Meichle sich hinter die Frontscheibe. Wie jeden Tag ist er unterwegs, um vor Langenargen seine Netze auszulegen. Meichle ist von Beruf Fischer, wie schon zwölf Generationen seiner Familie vor ihm. Immer öfter aber bleiben seine Fangnetze leer. Bereits seit Jahren gehen die Fangquoten der Fischer am Bodensee stetig zurück. Insbesondere die bei den Urlaubsgästen sehr beliebten Bodenseefelchen fehlen: Wurden 2011 knapp 300 Tonnen Felchen aus dem Wasser geholt, waren es 2015 noch 65 Tonnen. Verzehrt werden aber knapp 600 Tonnen jährlich. Um diese Lücke zu schließen, wird Fisch importiert – aus Sibirien, Italien oder Kanada. Auch Martin Meichle kauft Fisch zu, um mit seinem Betrieb überleben zu können. „Letzte Woche sind mir gerade mal vier Felchen ins Netz gegangen“, berichtet er. Zum Existieren bräuchte ein Fischereibetrieb aber etwa 35 Kilogramm Felchen am Tag, rechnet Meichle vor. „Ich bin jung, ich brauche eine Alternative“, sagt der Berufsfischer. Denn so wie sein Geschäft derzeit laufe, könne er genauso gut aufhören.

 

Mit welcher Idee Martin Meichle den Lebensunterhalt der Bodensee-Fischer gewährleisten will, sehen Sie im Video:

Eine Zuchtanlage im See soll Abhilfe schaffen

Diese Alternative könnte eine Felchenzuchtanlage im Bodensee sein, wenn es nach dem 37-Jährigen ginge. In zehn bis zwölf Netzgehegen mit jeweils 20 Metern Durchmesser könnten jährlich etwa 500 Tonnen Sandfelchen herangezogen werden, erläutert Alexander Brinker, der Leiter der Fischereiforschungsstelle Langenargen, die das Projekt mitentwickelt. Man habe Untersuchungen angestellt und Experten aus Norwegen hinzugezogen – mit dem Ergebnis, dass „die Zucht eine gute Möglichkeit wäre, regionale Wertschöpfung zu betreiben, statt den Fisch von weit her einzufliegen“. Kosten soll das Ganze etwa 1,5 Millionen Euro, zuzüglich der im laufenden Betrieb anfallenden Kosten für Futter, Personal und Fischverarbeitung.

Das Landwirtschaftsministerium befürwortet diese Pläne, finanzielle Unterstützung könnte es aus Fördertöpfen der EU geben. „Ich möchte, dass es auch künftig genügend Felchen aus dem Bodensee gibt und dass die Fischer am See eine Zukunft haben. Die Aquakultur sehen wir als ergänzendes Angebot und als ein zusätzliches Standbein für die Fischereiwirtschaft“, sagt der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU). Zunächst muss allerdings das Umweltministerium zustimmen; Fischzucht im Bodensee ist derzeit nämlich verboten.

Sehen Sie hier die Multimedia-Reportage der Stuttgarter Zeitung zu Fischern am Bodensee.

Gegner befürchten negative Folgen für das Gewässer

So soll es auch bleiben, das meinen zumindest Fischereiverbände und Naturschützer rund um den Bodensee. 32 Organisationen forderten Agrarminister Hauk in einem offenen Brief dazu auf, die „Felchenmast im Bodensee“ nicht weiter zu unterstützen. „Ich spreche für mindestens 90 Prozent der Berufsfischer aus Österreich, der Schweiz, Bayern und Baden-Württemberg, wenn ich sage: Wir wollen diese Hilfe nicht“, betont Elke Dilger, die Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer. Es seien nur ein paar wenige – darunter ein Fischzüchter aus dem Schwarzwald –, die das Projekt gegen den Willen der Mehrheit vorantrieben und davon profitierten. Die Verbände befürchten, die Zucht im See könnte noch mehr Akteure von außerhalb anziehen. Wenn die Genehmigung einmal erteilt sei, so die Angst, könne es zu einer Art Industrialisierung des Sees kommen; weitere Anlagen dieser Art könnten folgen, und die Bodenseefischer könnten am Ende leer ausgehen.

Zudem warnen Naturschützer und Fischer gleichermaßen vor möglichen negativen Folgen auf das Gewässer und die Wildfische. Aus Sicht des Naturschutzreferenten im Landesfischereiverband Südbaden, Thomas Lang, gibt es zu viele ungeklärte Fragen. „Da werden über Futtermittel Fremdstoffe in den See eingebracht, und es ist unklar, was bei eventuell ausbrechenden Krankheiten mit den Fischen geschehen soll“, sagt er. Zwar werde von den Beteiligten versichert, dass keine Antibiotika eingesetzt würden, doch wenn das viele Geld erst investiert sei, sehe die Sache womöglich wieder ganz anders aus. Eine Alternative zu den Netzgehegen könnte den Verbänden zufolge eine Felchenzuchtanlage an Land sein. Gegenwind bekommen die Befürworter der Netze auch von der Bodenseewasserversorgung. „Für uns hat die Nutzung des Sees zur Trinkwasserversorgung Vorrang vor allen anderen Möglichkeiten“, erläutert deren Pressesprecherin, Maria Quignon. Durch Futterreste, Ausscheidungen und Medikamente könnten „aufbereitungsrelevante“ Stoffe in den See gelangen.

Als Vorbild soll eine Anlage in Finnland dienen

Alexander Brinker von der Fischereiforschungsstelle kann die Bedenken der Gegner zwar verstehen, möchte sie aber gerne zerstreuen: „Aus wissenschaftlicher Sicht sind keine nachteiligen Auswirkungen auf den See zu erwarten.“ Ohnehin sei geplant, die Zucht zunächst als Pilotprojekt auszuprobieren. Er habe den Eindruck, die Fakten würden zu wenig betrachtet.

Auch der Fischer Meichle glaubt weiter an seinen Plan: Im vergangenen Jahr war er in Finnland, um sich selbst ein Bild von der weltweit einzigen großen Felchenzuchtanlage zu machen. Was er dort gesehen habe, habe ihn davon überzeugt, dass dies auch hierzulande gelingen könne, berichtet er. Gemeinsam mit elf anderen – darunter weitere Berufsfischer, besagter Züchter sowie ein Händler – will er nun eine Genossenschaft gründen, die beim Landratsamt das Genehmigungsverfahren einleiten und später Träger der Zuchtanlage werden soll. „Für mich ist das eine Chance, meinen Beruf auch in Zukunft auszuüben“, sagt er. Er wolle auch weiterhin auf den See fahren – das eine schließe das andere nicht aus.

Das Felchen und das Nachwuchsproblem

Bestand

Den geringen Bestand an Felchen führen die Fischer in erster Linie auf den niedrigen Nährstoffgehalt im Bodensee zurück; die Fische fänden nicht genügend Nahrung und wüchsen langsam. Seit Jahren fordern sie eine Erhöhung des Phosphatgehaltes. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben Verbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz 25 800 Unterschriften gesammelt und Politikern der drei Länder übergeben.

Wachstum

Das langsame Wachstum könnte allerdings auch eine andere Ursache haben, wie der Fischökologe Reiner Eckert von der Universität Konstanz herausgefunden hat: Die Fische einer Altersklasse sind nicht alle gleich groß. Beim Fischen mit Kiemennetzen werden nur die größten – also die am schnellsten gewachsenen – gefangen, die kleineren schwimmen durch die Maschen. Die im See verbleibenden Felchen können demnach mehr zum Genpool der folgenden Generation beitragen als die größeren, die häufiger abgefischt werden.

Konkurrenten

Laut Alexander Brinker, dem Leiter der Fischereiforschungsstelle in Langenau, hat sich dies in Genuntersuchungen nicht bestätigt. Vielmehr habe der Nahrungskonkurrent des Felchens, der Stichling, den Bestand zurückgedrängt hat. Das werde sich in den kommenden Jahren wieder ändern. „Das Ökosystem wird sich einpendeln.“