Der Landesregierung gelingt es nicht, aus der Defensive zu kommen. Man spricht hinter vorgehaltener Hand über die Zukunft des Verkehrsministers.

Stuttgart - Wenn die aktuelle Debatte als Vorgeschmack auf die kommenden parlamentarischen Monate gelten kann, dann haben die grün-roten Koalitionäre nervenaufreibende Zeiten vor sich. Fazit nämlich der mehr als zweistündigen Diskussion am Mittwoch im Landtag um die aktuellen Entwicklungen und Äußerungen speziell des Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) zum Bahnprojekt Stuttgart 21 ist: Der Regierung ist es nicht gelungen, bei ihrem Problemthema aus der Defensive zu kommen. Im Gegenteil.

 

Schon die Ausgangslage ist nahezu formidabel für die Opposition, denn die Regierung ist gespalten. Die Grünen wollen die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart samt Tiefbahnhof partout verhindern, während das Gros der Sozialdemokraten das Projekt für unverzichtbar hält. Da ist es kein Wunder, dass die politische Konkurrenz von CDU und FDP jede Gelegenheit nutzt, um Salz in die politische Wunde zu streuen. Und dann operiert der Verkehrsminister Hermann in seinen ersten Amtswochen auch noch so unglücklich, dass sich - über die Sache hinaus - eine erste ernsthafte Personaldebatte fast schon wie von selbst entspinnt.

Noch hat es die CDU-Fraktion nicht für nötig befunden, ihrer aufgrund entsprechender StZ-Berichte erhobenen Rücktrittsforderung vom Vortag den ebenfalls angedrohten Entlassungsantrag folgen zu lassen. Dabei sei es für die Akzeptanz des Stresstests im Schlichtungskontext keine Formalie, sondern politisch wichtig, ob Hermann über die Entwicklung der Verkehrssimulation informiert war. Das hinterlegt CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Da Hermann einräumte, Bescheid gewusst zu haben, stelle sich - so Hauk an den Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt - die Frage, ob "Sie Ihr Minister nicht informiert hat, oder ob Sie ein solches Verhalten in der Öffentlichkeit decken; da erwarten wir klare Antworten". Für die FDP liegen diese auf der Hand: "Kein wahrheitsliebender Katholik" könne Hermanns Verhalten dulden, so der Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Vertrauenserklärung der Grünen-Fraktion

Doch der Attacken durch die Opposition hätte es gar nicht bedurft: Die Koalition offenbart in der Debatte selbst sicht- und hörbar, wie sehr Stuttgart 21 sie belastet.

Die Fraktionschefin der Grünen, Edith Sitzmann, bemüht sich zwar um eine allgemeine Einordnung des jüngsten Geschehens und Hermanns umstrittener Aussagen zum Stresstest bei Stuttgart 21. Man möge die Ergebnisse der Geißler-Schlichtung vom Herbst ernst nehmen und Diskussionen transparent führen. Offiziell lägen eben noch keine Ergebnisse des Stresstests vor. Doch wenn sie ausführt, die Fraktion der Grünen habe sich von der Richtigkeit der Position des Verkehrsministers überzeugt - "Hermann hat das volle Vertrauen der Grünen-Fraktion" -, dann klingt das eher wie eine Mahnung in Richtung SPD als eine Kampfansage an die Opposition.

Sitzmanns Kompagnon von der SPD tut sich ebenfalls schwer. Denn wenn Claus Schmiedel fordert, im jetzt ablaufenden Prozess von Stresstestbewertung und Vorarbeit für den Volksentscheid "sollen sich alle so verhalten, dass keine Missverständnisse entstehen", scheint dies an die Adresse Hermanns gerichtet - und nicht an den einen oder anderen Polemisierer aus den Reihen von CDU oder FDP. Dabei bemüht Schmiedel sich am eifrigsten von allen Koalitionären darum, die Risse zu kitten. "Wir sollten gelassen die ihr Geschäft machen lassen, die Verantwortung dafür haben", sagt er - und es kommt einem vor, als müsste er das auch manchem aus der eigenen Fraktion verdeutlichen.

Der Verkehrsminister in der Defensive

Wolfgang Drexler zum Beispiel tut sich schwer, seinen Unmut zu verbergen, als sich Hermann am Rednerpult rhetorisch windet. Der einstige Lehrer und langjährige Tübinger Bundestagsabgeordnete versucht mit einem klaren Bekenntnis zur Gewaltfreiheit Land zu gewinnen: Er "bedauere außerordentlich, dass Menschen verletzt worden sind" bei den Ausschreitungen nach der Montagsdemonstration am 20.Juni. Und er versichert: "Natürlich arbeiten die Landesbehörden das Projekt nach Recht und Gesetz ab." Ein bisschen gesteht er auch ein, mit widersprüchlichen Aussagen über seine Kenntnisse zum Stand des Stresstestes zu einer "leichten Sprachverwirrung" beigetragen zu haben. Aber er schafft es nicht - von der früheren Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) durch Zwischenfragen unter Druck gesetzt -, eindeutig Position zu beziehen, ob er das Ergebnis des Stresstests letztlich akzeptieren werde.

 Auch außerhalb des Plenarsaals kommt Hermann kaum aus der Defensive. Dabei kämpft der 58-Jährige längst auch gegen Zweifel in den Reihen der Regierungsparteien, vor allem in der SPD, an seiner Eignung für das Amt. Hinter den Kulissen rumort es jedenfalls kräftig, zumal der Verkehrsminister zum wiederholten Male auffällig geworden ist. Kurz nach seiner Vereidigung hatte er verkündet, nur für Stuttgart 21 zuständig sein zu wollen, wenn das Projekt verhindert wird. Dann kündigte an, das Land werde womöglich Kosten übernehmen für einen verlängerten Baustopp. In beiden Fällen ruderte er zurück.

Kritk von der SPD und Bedenken der eigenen Anhänger

Sozialdemokraten nehmen Hermann derlei Eskapaden übel. Der Mann verdrehe Fakten und verschleiere die wahren Verhältnisse. So hätte er vor den eigenen Leuten, den Gegnern von Stuttgart 21, deutlich machen müssen, dass die Bahn am Hauptbahnhof über ein Baurecht verfügt und ein Ausstieg aus dem Projekt mit enormen Folgekosten verbunden wäre, sagen sie - noch hinter vorgehaltener Hand. Dabei habe er keinerlei Alternativplanung. Stattdessen wiegele Hermann das Volk weiter auf.

Doch auch bei den Grünen glühten in den vergangenen Tagen die Drähte - bis hinauf zum Ministerpräsidenten. Sie plagt die Überlegung, wie Hermann eingefangen werden könnte, heißt es. Der Minister dürfe nicht länger den "Oppositionspolitiker" geben. Vor allem treibt die neuen Machthaber in der Villa Reitzenstein die Sorge, dass die Negativ-Debatte über die Personalie Hermann künftige Erfolge der Regierungsarbeit völlig überlagern könnte.

Das hatte sich zum Auftakt des grün-roten Regierungsexperiments ganz anders angelassen. Claudia Roth, die Bundesvorsitzende der Grünen, zählte zu den allerersten Gratulanten Hermanns. "Der wird Ihnen in Baden-Württemberg viel Freude machen", sprach sie damals vor laufender Kamera, "weil er so ehrlich, so glaubwürdig, so ohne Falsch ist. Es gibt keinen Besseren für diesen wahnsinnig schweren Job."