Exklusiv Wurde beim EnBW-Deal ein Gutachter beauftragt, der den Wert von Unternehmen gerne tief ansetzt? Diesen Vorwurf eines Professors weist die Justiz scharf zurück.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Stefan Mappus (CDU) stand ziemlich allein auf weiter Flur. Fast alle Seiten lobten den Gutachter der Staatsanwaltschaft, der ihm attestierte, 780 Millionen Euro zu viel für die EnBW-Aktien bezahlt zu haben. Der sei nicht nur völlig unparteiisch, sondern habe sogar die für den Angeschuldigten günstigste Bewertungsmethode gewählt. Nur der Ex-Ministerpräsident und sein Bankerfreund Dirk Notheis (CDU) nahmen den Experten, Professor Wolfgang Ballwieser von der Universität München, durch ihre Anwälte ins Visier: In einer Reihe von Punkten werde dessen Expertise „den Anforderungen an ein neutrales Gutachten nicht gerecht“, ließ Mappus erklären. Es sei „einseitig, fehlerhaft und methodisch unzureichend“, schimpften die Verteidiger von Notheis.

 

Nun bekommen die beiden Unterstützung von unverhoffter Seite. Auch der Stuttgarter Professor Ekkehard Wenger vom Lehrstuhl für Bank- und Kreditwirtschaft der Universität Würzburg, bekannt als streitbarer Anwalt von Kleinaktionären und „Hauptversammlungsschreck“, bläst zur Attacke auf den Gutachter. „Wenn man einen möglichst niedrigen Unternehmenswert ‘ergutachten’ lassen will und dafür nach einem prominenten Experten sucht, ist Kollege Ballwieser unter den Adressen der ersten Wahl“, sagte Wenger der Stuttgarter Zeitung. „Wer sich in der Gutachterszene auskennt, weiß das.“

Ballwieser schweigt zum Angriff des Kollegen

Die typische Interessenlage von Ballwieser und seinen Kollegen, die beim Institut der Wirtschaftsprüfer im zuständigen Fachausschuss für Unternehmensbewertung versammelt sind, sei „durch wirtschaftliche Abhängigkeit von Aufträgen aus Großaktionärskreisen geprägt“. Diese wollten „möglichst billig an die Aktien von Kleinaktionären kommen“. Entsprechend niedrig fielen die von den Experten ermittelten Unternehmenswerte aus. Als Beispiel nennt Wenger den Fall des Mannheimer Werkstoffspezialisten Friatec, wo mehr als zehn Jahren lang um die Abfindung der Kleinaktionäre gerungen wurde. Als Parteigutachter habe Ballwieser damals durch fragwürdige Parameter einen Wert von etwa 20 Euro pro Aktie bestätigt; letztlich seien in dem 2012 beendeten Rechtsstreit gut 27 Euro als angemessen erachtet worden. In einem Aufsatz spottete Wenger über Ballwiesers „weit von den Marktverhältnissen entfernten“ Annahmen zur künftigen Verzinsung; wenn seine prognostischen Fähigkeiten etwas taugten, könne er damit an den Finanzmärkten viel Geld verdienen.

Ballwieser selbst verspürt „kein Bedürfnis“, sich zur Attacke seines Kollegen zu äußern. Rückendeckung bekommt er dafür vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Düsseldorf. Der Münchner Professor sei „den fachlich Interessierten durch zahlreiche Publikationen, Moderatorenbeiträge und Aufsätze bekannt“, sagt eine Sprecherin; er beschäftige sich „seit vielen Jahren mit dem Gebiet der Unternehmensbewertung“ – auch in dem IDW-Ausschuss. Darin sitzt übrigens auch der Gutachter des Landes, Professor Martin Jonas, nach dessen Expertise Mappus 800 Millionen Euro zu viel bezahlte. Wengers Vorwürfe gegen das Institut lässt die Sprecherin nicht gelten: „Sie entbehren einer substanziierten Grundlage und entziehen sich damit einer konkreten Widerlegung.“ Die Arbeit des Ausschusses werde „regelmäßig in Form von Begleitaufsätzen zu seinen Verlautbarungen transparent dargelegt“.

Justiz weist Verdacht vehement zurück

Noch vehementer wehrt sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf, man habe einen Gutachter gezielt zum Nachteil der Angeschuldigten ausgewählt, werde „entschieden zurückgewiesen“, sagt eine Sprecherin; er sei „haltlos“ und „ehrverletzend“. An der Unvoreingenommenheit Ballwiesers bestünden keinerlei Zweifel.

Er sei als einer von mehreren möglichen Experten von den Wirtschaftsreferenten der Behörde vorgeschlagen worden. Vor der Entscheidung für ihn seien entsprechend den internen Regeln die Anwälte von Mappus, Notheis & Co. angehört worden – und sie hätten „keinerlei Einwände erhoben“. Von dem laut Wenger angeblich einschlägigen Ruf Ballwiesers schienen sie demnach nichts gehört zu haben. Erst zuzustimmen und dann, wenn das Ergebnis unerfreulich ist, den Gutachter zu attackieren – das wirkt auch etwas seltsam.

Im Landtag wurde das Ballwieser-Papier diese Woche denn auch von keiner Seite in Frage gestellt. Die Grünen wiesen dort auf einen interessanten Nebenaspekt hin: Das Honorar der Investmentbank Morgan Stanley sei bekanntlich an den Kaufpreis für die EnBW-Anteile gekoppelt gewesen. Folge man dem Gutachter, habe Mappus’ Bankerfreund Notheis stolze 2,145 Millionen Euro zu viel erhalten.