Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) feiert am Montag seinen 60. Geburtstag. Das Stadtoberhaupt ist seit zweieinhalb Jahren im Amt. Er hat einige Erfolge zu verzeichnen, seine Zwischenbilanz ist dennoch eher durchwachsen.

Stuttgart - Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Mann der ersten Stunde bei den Grünen, vollendet am Montag ein weiteres Jahrzehnt politischen Wirkens. Der 60. Geburtstag ist freilich kein Grund, die Vorstandssitzung des Städtetags sausen zu lassen, zumal sie im Stuttgarter Rathaus stattfindet. Am Freitag lässt er sich bei einem Festakt hochleben, dann von 400 Gästen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird warme Worte für die gelungenen Doppelpässe mit dem Parteifreund finden und von frischem Wind berichten, den er im Rathaus vermutet. Der traditionelle Sommerempfang fällt übrigens flach – eine grüne Idee, um schwarze Zahlen zu schreiben. Das war 2012 Kuhns Slogan im Wahlkampf gegen den CDU-Kandidaten Turner. Seit diesem Erfolg ist die Gruppe der Kuhn-Skeptiker eher größer geworden.

 

Dabei hat er durchaus Erfolge aufzuweisen wie die Konzessionsvergabe von Strom- und Gasnetz mit der Stärkung der Stadtwerke, die Verpflichtung von Porsche als Sponsor für die Ballettschule, die Einführung des Job-Tickets für Mitarbeiter oder den Rückkauf der Villa Berg. Auch für seine erfrischende Art der Sitzungsleitung und die Fähigkeit, rasch Mehrheiten zu zimmern, wird ihm von allen Seiten Respekt gezollt. Und schließlich nimmt Kuhn die Arbeit in der Regionalversammlung, deren stellvertretender Vorsitzender er ist, etwas ernster als sein Vorgänger Wolfgang Schuster. Der grüne Oberbürgermeister gibt auch erfolgreich den Außenminister: Kürzlich ist er nach Australien gejettet und hat dafür gesorgt, dass Stuttgart die Turn-Weltmeisterschaften bekommt.

Lob und Tadel für öffentliche Auftritte

Sacharbeit ist eine Sache, die ihm sehr wichtige Außendarstellung eine andere. Bei der Trauerfeier für Manfred Rommel hat der Germanist und Philosoph den richtigen Ton getroffen und damit die Messlatte hochgelegt. „Ich höre ihn einfach gerne reden“, sagte sogar der CDU-Fraktionschef Alexander Kotz nach einem Vortrag beim Kirchentag begeistert. Umso schwerer wiegt nun der Vorwurf, mit einem verbalen Amoklauf die Stadt blamiert zu haben. Pünktlich zu seinem Ehrentag gab Kuhn jedenfalls jenen, die ihm oberlehrerhaftes Getue und Beratungsunverträglichkeit unterstellen, Gelegenheit zur Schmähkritik, weil er sich beschwerte, dass Stuttgart im „Tatort“ als „Drecksloch“ und das S-21-Gelände als Tummelplatz von Immobilienspekulanten bezeichnet worden war. Anstatt das zu ignorieren, erklärte er der Nation, das sei bebauungsplantechnisch gar nicht möglich. Seitdem ist nicht der Film Thema am Stammtisch, sondern die Frage, wie man mit so wenig Souveränität einer Großstadt vorstehen kann. Dass der Regisseur in seiner Kunst frei ist, erkannte man übrigens am zu niedrigen Geländer auf dem angeblichen Bahnhofsturm. Nach den bisherigen Erfahrungen hätte Kuhn dieses Wahrzeichen längst sperren lassen.

So wie den Fernsehturm. „Die schwerste Entscheidung in meiner Amtszeit“, sagt er, was auf ein bisher eher geruhsames Arbeiten in spartanischer Büroatmosphäre hindeutet. Aber nicht die Schließung ist ihm vorzuwerfen, sondern dass die Wiedereröffnung nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben worden ist. Das Aus für den Rathaus-Paternoster ist dagegen schnell abgewendet worden. Das war aber auch nicht Chefsache.

Wahlversprechen mit konkreten Zahlen unterlegt

Als taktischen Fehler haben Freund und Feind entlarvt, dass er Wahlversprechen mit konkreten Zahlen unterlegte. Sie flossen wie beim Vorgänger in Konzepte, die in die Schublade wanderten. Papier ist geduldig, etwa jenes zur Energiewende, auf deren Start man seit seinem Amtsantritt Anfang 2013 wartet. Ein Vorwurf, den man immer wieder hört: Es fehle Kuhn nicht an Ideen, sondern am Mut zur Umsetzung.

20 Prozent weniger motorisierten Verkehr strebt der OB an, um das Feinstaubproblem in der Staustadt in den Griff zu bekommen. Mit jährlich 600 öffentlich geförderten Wohnungen sollte der Nachfrage begegnet werden. Davon ist er heute so weit entfernt wie bei seinem Amtsantritt. Das verwundert nicht, weil er beim Wohnen auch auf die Unterstützung der Privatwirtschaft angewiesen ist, die am geförderten Bauen aber gar kein Interesse hat. Er verfügt nicht über die Instrumente, um die Zahl der Pendler zu senken. Fahrverbote und die im Wahlkampf noch ausgeschlossene Citymaut stehen bis jetzt nur auf einer geheimen Liste. Mit Radarfallen und Tempo 40 an Steigungsstrecken kann der Verkehr verflüssigt, aber sicher nicht minimiert werden. Nachdem die EU die Stadt zwingt, einen Stichtag für die Einhaltung der Luft-Grenzwerte zu nennen, hat er „2021“ gesagt. Da ist er schon in Rente.

CDU fordert mehr Taten statt Worte

„Es passiert einfach nix“, klagt CDU-Chef Kotz, anerkennt aber zumindest, dass sich Kuhn die dicksten Bretter vorgenommen hat. Dem Bündnis für Wohnen kann die Union nicht viel abgewinnen. Das erste Treffen erinnerte Kotz wegen der vielen Leute im Halbkreis „an die UN-Vollversammlung“, nach der bisher letzten Sitzung sei klar geworden, dass die Bauwirtschaft lieber Eigentumswohnungen erstellt. In München gibt der Gemeinderat deshalb Hunderte Millionen für sozialen Wohnungsbau aus, in Stuttgart dürfte es für eine solche Aktion weder Mittel noch Mehrheit geben. Das heißt nicht, dass unter Kuhn nicht investiert würde. Ihm liegt die Kultur – für viele zu sehr – am Herzen. Man munkelt, er sympathisiere für eine möglichst umfangreiche Sanierung der Oper, die die Stadt 300 Millionen Euro kosten könnte. Für die Wagenhallen schüttelt er 30 Millionen aus dem Ärmel. Ein OB der „Leuchttürme“ wie sein Vorgänger wird er dennoch nicht. Ihm bleibt nur die unspektakulärere Rolle des Sanierers von Schulen, Bädern, Straßen und Brücken. Das Klinikum ist in arger finanzieller Schieflage, und er muss sich auch um die SSB kümmern, die große Investitionen zu stemmen hat.

Kuhn regiert im Rathaus mit harter Hand

Die Stimmung im Rathaus soll nicht die beste sein. Kuhn gibt offenbar leitenden Mitarbeitern deutlich zu verstehen, was er von ihnen hält. Gleichzeitig hat ihm aber der Mut gefehlt, schon unter seinem Vorgänger kritisierte Führungskräfte auszutauschen. Vertreter aus dem Nicht-Grünen-Lager staunen, dass vornehmlich Kuhns eigene Leute im Visier sind. Dabei ist ihm seine Fraktion treu ergeben, das erwartet er aber auch. Es heißt, er sei ein Kontrollfreak: „Wir schreiben Vermerke, Vermerke, Vermerke“, schimpft ein hochrangiger Mitarbeiter. An Beiträgen sei der OB eher weniger interessiert, zur Sache trage vor allem er vor. Bürgerbeteiligung ja, Bürgermeisterbeteiligung eher nein. Das führe zu Fehleinschätzungen. Helfen kann ihm dann keiner mehr; weil Kuhn überholte Strukturen übernommen hat, seien wie bei Schuster die engsten Mitarbeiter mit Nebensächlichem ausgelastet. Peter Pätzold, langjähriger Grünen-Chef, sagt dagegen: „Ich kann nicht klagen. Schuster hatte vielleicht zweimal im Jahr mit mir gesprochen. Kuhn tauscht sich regelmäßig mit allen Fraktionsvorsitzenden aus.“

Anders als Schuster liebt Kuhn die Auftritte als Sitzungsleiter in den Ausschüssen; zumal sie gerne in öffentlichkeitswirksame Scharmützel mit SÖS-Chef Hannes Rockenbauch münden. Das findet er unterhaltend, vor allem wenn es wie am Mittwoch um S 21 gehen wird. Dann wird der ehemalige Projektgegner den verbliebenen die Abweisung ihrer Bürgerbegehren erklären. Kostenexplosion, Leistungsrückbau? Für Kuhn kein Thema mehr. Der Alt-Grüne hat längst seinen Frieden mit S 21 gemacht.