Was als kleiner Aufstand geplant war, wird zu einer Art Misstrauensvotum gegen Thomas Strobl. Der Denkzettel der Fraktion bringt den designierten Vizepremier ins Wanken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Eigentlich hätte Thomas Strobl am Mittwoch als Gewinner durch das frisch renovierte Landtagsgebäude wandeln können. Bis kurz vor der ersten Sitzung des neuen Parlaments war alles prima gelaufen für den CDU-Landeschef. Nach dem Wahldebakel am 13. März hatte er den Spitzenkandidaten Guido Wolf rasch beiseite geschoben und wieder selbst die Führung übernommen. Bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen hatte er erkennbar das Sagen, Wolf blieb nur eine glanzlose Nebenrolle. Erst vor wenigen Tagen schließlich billigte ein CDU-Parteitag das Ergebnis trotz eines gewissen Grummelns mit großer Mehrheit. Der Bestätigung des bundesweit ersten grün-schwarzen Kabinetts schien nichts mehr entgegenzustehen – und damit auch Strobls Umstieg vom Bundespolitiker zum Vizeministerpräsidenten in Stuttgart.

 

Doch wie ein Gewinner wirkte der 56-Jährige nicht, als er am späten Vormittag seine künftige politische Wirkungsstätte betrat. Erst führte er mit sorgenvoller Miene vor dem Landtagseingang Zwiegespräche mit Vertrauten. Dann ging er – ganz entgegen seiner Gewohnheit – wortlos an den Journalisten vorbei ins Gebäude. Dort saß er wie ein Zaungast neben der Landesgeneralsekretärin Katrin Schütz auf der Besuchertribüne, während unten der Parlamentsbetrieb begann. Später war er dann verschwunden, angeblich wegen anderweitiger Verpflichtungen. Strobl habe mit den Tränen gekämpft, wurde überall erzählt, selbst die Kanzlerin habe ihn telefonisch zum Durchhalten ermuntern müssen. Trotzdem schien es geraume Zeit ungewiss, ob er nicht den Bettel hinschmeißen und seinen Wechsel in die Landespolitik jäh abblasen würde.

Viele Kollegen hätten mal „Luft ablassen“ müssen – hieß es tags darauf

Vom Gewinner zum Angezählten war Strobl am Vortag geworden. Da merkte er schmerzlich, dass er es als „Berliner“ mit der Landtags-CDU schwerer haben würde als gedacht. Erst wählten die Abgeordneten nicht jenen Kandidaten als Nachfolger von Guido Wolf zum Fraktionschef, der als sein Favorit galt. Der Ex-Minister Willi Stächele unterlag relativ deutlich seinem früheren Kabinettskollegen Wolfgang Reinhart. Schon das war ein Signal, dass sich die Landtagsriege nicht als williges Anhängsel des neuen „starken Mannes“ versteht, sondern ihre Eigenständigkeit betonen wollte. Dann kam es zu einer unverhohlenen Rebellion gegen Thomas Strobl, bei einer Probeabstimmung für die Wahl des Ministerpräsidenten.

Eigentlich wollte die CDU damit nur demonstrieren, dass sie den Grünen Winfried Kretschmann an diesem Donnerstag geschlossen wählen wird – für den Fall, dass es wegen fehlender Stimmen Zweifel daran gäbe. Doch daraus wurde überraschend eine Art Misstrauensvotum gegen Strobl. Acht Neinstimmen, fünf Enthaltungen – fast ein Drittel der 42 Abgeordneten verweigerte sich. Das Votum sei ein „Ventil“ gewesen, viele Kollegen hätten mal „Luft ablassen“ müssen, hieß es tags darauf. „Die haben halt auch ihren Stolz.“

Die Fraktion fühlt sich von Strobl in den Hintergrund gedrängt

Zu sehr fühlte sich die Fraktion – eigentlich das Machtzentrum der Landespolitik – von Strobl in den Hintergrund gedrängt. Voll war das Maß für etliche Parlamentarier nach der Präsentation der CDU-Kabinettsliste, die der Parteichef im Stillen ausgeknobelt und ihnen „einfach vorgesetzt“ habe. Damit zerstoben etliche Karrierehoffnungen, teils auch noch frisch genährte. Nur zwei Abgeordnete aus der bisherigen Fraktion – Peter Hauk und Guido Wolf – sollten Minister werden. Da war es für die Enttäuschten kein Trost, dass eine frisch gewählte Kollegin per Blitzaufstieg Chefin im Wirtschaftsressort werden soll – eher im Gegenteil. „Persönliche Befindlichkeiten“ hätten bei der Probewahl sicher eine große Rolle gespielt, wurde tags darauf analysiert.

Erst durch Thomas Strobl indes wurde aus dem mittleren Problem ein großes. Der CDU-Chef war von der Abfuhr tief getroffen – und verbarg das auch nicht. „Dumm“ sei das Verhalten der Abweichler, wollen Ohrenzeugen ihn noch sagen hören haben, unter solchen Umständen stehe er „nicht zur Verfügung“. Dann stürmte er erbost aus dem Sitzungssaal und ließ sich auch von wohlmeinenden Parteifreunden („Bleib doch da, Thomas“) nicht aufhalten.

So bekam er nicht mehr mit, dass die zweite Probeabstimmung schon erheblich besser ausfiel. Statt 26 gab es nun 31 Jastimmen – freilich erst nach eindringlichen Appellen des neuen Fraktionschefs Reinhart und seines Vorgängers Wolf.

Strobl drohe das Handtuch zu werfen, sollte es bei der Wahl am Donnerstag Probleme geben

Doch auch am Folgetag war Strobls Groll noch nicht verflogen – was manche Weggefährten an seinen Führungsqualitäten zweifeln ließ. Einen solchen Denkzettel müsse man gelassen wegstecken, meinten sie. Bei der Wahl am Donnerstag würden sich die Abweichler dreimal überlegen, ob sie wirklich die bundesweit erste grün-schwarze Koalition schon zum Start ins Straucheln bringen wollten. Doch der designierte CDU-Frontmann in dem Bündnis schmollte weiter. Für eine eilends anberaumte Sondersitzung der Fraktion am Mittwochnachmittag stehe er nicht zur Verfügung, hieß es. Sollte es bei der Wahl am Donnerstag Probleme geben, drohe er das Handtuch zu werfen. Dann gäbe es nur noch einen Ausweg: Neuwahlen. Das Strobl zu einer solchen „Erpressung“ greifen müsse, zeuge nicht gerade von Autorität, lästerten CDU-Leute.

Die bei Strobl vermisste Ruhe demonstrierte der frisch gekürte Fraktionschef. Man werde die Regierung am Folgetag klar bestätigen, „mit geschlossener Haltung der Fraktion“, versicherte Wolfgang Reinhart. Am Morgen solle es einen „Zählappell“ geben, aber keine weitere Probewahl. Er gehe nach wie vor davon aus, dass Strobl als Innenminister und Vizepremier zur Verfügung stehe. Zugleich machte Reinhart noch einmal die Rollen deutlich: Während der Koalitionsverhandlungen habe die Partei das Sagen gehabt, nun sei es wieder die Fraktion – ein klarer Wink an Strobl.

In diesen Tagen zeigt sich, ob der Erfolg von Dauer ist

Vielleicht, meinten Spötter dieser Tage, habe Horst Seehofer einst doch recht gehabt. „Von den beiden Losern lasse ich mir nichts sagen“, zürnte der CSU-Chef, als sich Strobl und Hauk leise Kritik an den Christsozialen erlaubt hatten. Loser, Verlierer – das war der Heilbronner CDU-Mann in der Tat mehrfach: erst verlor er 2011 als Generalsekretär mit Stefan Mappus die Landtagswahl, dann unterlag er 2014 in der Mitgliederbefragung unerwartet klar gegen Wolf. Der Absturz auf 27 Prozent geht zwar vorrangig auf dessen Konto, doch als Landeschef stand Strobl mit in der Verantwortung. Umso beachtlicher war, wie er es schaffte, in den Wochen danach wieder als Gewinner da zu stehen. In diesen Tagen zeigt sich, ob der Erfolg von Dauer ist.