Der Unfall, bei dem vor zwei Monaten ein Schnellboot eine Segeljacht auf dem Bodensee versenkt hat, bleibt rätselhaft. Wieso hat der Katamarankapitän nicht einmal gebremst?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - Eine Jolle treibt manövrierunfähig auf dem See vor Friedrichshafen. Der Mast ist gebrochen. Die Deckschale hat sich vom Rumpf getrennt, Wasser droht einzudringen. Ein Mann und sein Schwiegersohn kämpfen verzweifelt gegen den Untergang. Eine Starkwindwarnung hat den See leer gefegt. Da braust der Katamaran Constanze herbei. Der Kapitän erkennt die Gefahr, alarmiert die Wasserschutzpolizei. Die Männer werden gerettet, die Jolle wird in den Hafen geschleppt.

 

Solche Geschichten kämen häufig vor, sagt Stefan Dix. Dass die Polizei in ihrer Presseerklärung vom Donnerstagabend aber ausdrücklich „den aufmerksamen Schiffsführer“ lobt, kommt dem Sprecher der Katamaran-Reederei gerade gut zupass. Seit Wochen sind die Schnellboote, die im Stundentakt zwischen Konstanz und Friedrichshafen pendeln, nur noch als Gefahr für die Segler auf dem Bodensee im Gespräch. Da kann Dix gute Presse gebrauchen.

Wie eine Dampfwalze

Es war am 12. August, als ein Katamaran – auch damals war es die Constanze – bei Sonnenschein und bester Sicht mitten auf dem See vor Hagnau (Bodenseekreis) ein Segelboot rammte und versenkte. Die 150 000 Euro teure Jacht war knapp zehn Meter lang und hochseetauglich. Jetzt liegt sie in zwei Teile zerbrochen auf dem 240 Meter tiefen Grund des Bodensees und wird aus Kostengründen wohl auch nie geborgen. Die beiden Segler überlebten. Der 69-jährige Mann und seine 64-jährige Frau wurden von der Besatzung des Katamaran aus dem See gefischt. Beide hätten noch Wochen unter Schock gestanden, sagt ihr Rechtsanwalt Andreas Löwe. „Wenn eine 55 Tonnen schwere Dampfwalze ungebremst in einen hineinfährt, bekommt man das schwer wieder aus dem Kopf.“

Sein 69-jähriger Mandant ist ein erfahrener Segler. Jahrelang war er bei seinem Verein Regattaleiter. Als er das Schnellboot immer näher kommen sah, habe er noch ein „Manöver des letzten Augenblicks“ versucht. Doch bei schwachem Wind fuhr sein Schiff nur Schrittgeschwindigkeit. Der Katamaran brauste hingegen mit 33 Stundenkilometern heran. Da blieb keine Chance zu entkommen. „Ohne Bremsung, ohne Kursänderung, ohne Notsignal“ sei der Katamaran auf die Jacht gedonnert, zitiert Löwe die Ermittlungsakten. Warum, ist ein Rätsel. Die Besatzung schweigt. Die Reederei versicherte dieser Tage erneut, dass keine Hinweise auf technische Fehler vorlägen.

Ein Fall für das Schifffahrtsgericht

Anhaltspunkte, dass Alkohol im Spiel gewesen wäre, gebe es auch nicht, erklärt der Sprecher der Konstanzer Staatsanwaltschaft. Der Fall wird wohl vor das dortige Amtsgericht kommen, das als Schifffahrtsgericht am Bodensee fungiert. Der „lebensbedrohliche Unfall“ müsse vollständig aufgeklärt werden. Schließlich seien sowohl die beiden Segler als auch die 98 Passagiere an Bord der zunächst fahruntüchtigen Constanze in Gefahr gewesen. Die Dekra soll nun den Unfall rekonstruieren. Bremsspuren gibt es naturgemäß keine auf dem See. Doch dank Fahrtenschreiber lägen eine Vielzahl an Daten vor. „Wir haben Hinweise zur Geschwindigkeit, zur Windstärke, zur nautischen Position, zu den Wetterverhältnissen“, sagt der Staatsanwalt. Im November soll das Gutachten fertig sein.

Auf dem See gibt es klare Verkehrsregeln. In Hafennähe ist der Katamaran als Linienschiff vorfahrtsberechtigt und darf dies mit einem grünen Ball über der Kommandobrücke anzeigen. Auf dem offenen See, wenn das Schnellboot Vollgas gibt, muss der Kapitän hingegen Rücksicht nehmen. Dann wird der grüne Ball eingeklappt.

Die Segler sind nervös

Dass sich daran etwas ändern könnte, ist die Furcht der Segler. „Für eine generelle Vorfahrt ist der Katamaran viel zu schnell“, sagt Theo Naef. Der Schweizer ist Vorsitzender des Internationalen Bodensee-Seglerverbands und vertritt 105 Clubs mit 22 000 Mitgliedern. Der Unfall habe eine „generelle Unsicherheit“ bei seinen Verbandsmitgliedern ausgelöst, sagt Naef. Bei Versammlungen, in den Häfen, an den Stegen – überall werde über den Unfall diskutiert. Eindringlich warnt er davor, die strengen Vorgaben der Betriebsgenehmigung für den Katamaran zu lockern. Genau dies hatte die Katamaran-Reederei bei der letzten Verlängerung der Betriebsgenehmigung gefordert.

Der Staatsanwaltschaft geht es derweil darum, die Schwere der Schuld zu ermitteln. „Handelt es sich um ein Augenblicksversagen, ist die Schuld natürlich geringer“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Doch wer schon Katamaran auf dem Bodensee gefahren ist, weiß, dass dieser Augenblick ziemlich lange sein müsste. Trotz der hohen Geschwindigkeit sind kreuzende Segelboote gut zwei Minuten vorher zu erkennen.