Torhüter Sven Ulreich vom VfB Stuttgart stand in dieser Saison schon oft in der Kritik. In den letzten Wochen hat sich das Blatt gewendet.      

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Während sich das Arbeitszeugnis etwa des Abwehrrecken Serdar Tasci im Bremer Weserstadion aus 74 Ballkontakten zusammengesetzt hat, wandelte der Mann hinter ihm auf einem wesentlich schmaleren Grat. Vier, fünf Aktionen sind es pro Spiel, anhand derer die Kritiker ihr Urteil über einen Torhüter fällen. Wenn dann einer in der 89. Minute nach diversen Paraden noch einen Schuss von der Linie kratzt und seinem Team einen Punkt rettet, dann darf er getrost von einem gelungenen Tag sprechen.

 

Es war also überhaupt kein Wunder, dass Sven Ulreich in den Katakomben der Bremer Arena nach dem 1:1 zum gefragtesten Gesprächspartner aufseiten der Gäste vom VfB Stuttgart avancierte. Schließlich wollten die Journalisten vor allem seine Geschichte hören. Nämlich, wie das so ist, wenn man seiner ohnehin schon guten Leistung mit einem Blitzreflex kurz vor Spielschluss noch die Krone aufsetzt.

"Es ist ein geiles Gefühl. Aber ich muss meinen Weg in Ruhe weitergehen", sagte Sven Ulreich, 22, über die Szene aus der 89. Minute, als er den Ball des schlaksigen Werder-Stürmers Sandro Wagner mit dem rechten Arm von der Linie gekratzt hatte. Zuvor hatte Ulreich bereits mehrere gefährliche Schüsse entschärft, etwa jenen von Denni Avdic, der den an einem Bänderriss laborierenden (und gesperrten) Claudio Pizarro im Sturm ersetzte.

"Wir hatten Glück - und den Ulle"

Weil Ulreich in Sachen toller Paraden in letzter Zeit zu einem Serientäter geworden ist, ist die gestiegene Anerkennung auch im Kollegenkreis inzwischen deutlich spürbar. "Er hat super gehalten. Wir können uns in den letzten Wochen immer wieder beim Ulle bedanken", sagte Serdar Tasci, während Zdravko Kuzmanovic konstatierte: "Wir haben gut angefangen. Danach hatten wir ein bisschen Glück - und den Ulle."

Der Schlussmann will sich derweil nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Also schiebt er daheim im Remstal neben dem Torwarttraining mit Eberhard Trautner eifrig Sonderschichten. Ulreich besucht unter anderem die Kinesiologin Angelika Bruna, nach deren Lehre sich durch das Berühren von Refelexzonen und Muskeldruckpunkten Blockaden lösen und damit Energie freigesetzt werden soll.

"Jeder Profi muss wissen, was ihn individuell weiterbringt", sagt Ulreich, der tatsächlich befreit wirkt und der im zarten Torhüteralter von 22 Jahren bereits über die Erfahrung von 43 Bundesliga-, 44 Drittliga- sowie 29 Regionalligapartien verfügt.

Das Schicksal hat Ulreich zurückgebracht

Auch Bruno Labbadia hat eine Wandlung bei seinem Torhüter ("Ich rede und dirigere jetzt mehr auf dem Spielfeld") ausgemacht, den er Ende Februar kurzfristig durch den erfahreneren Marc Ziegler ersetzt hatte. "Er hat den Ball von Wagner sensationell abgewehrt und ist mit seiner Entwicklung ohnehin bezeichnend für das Team", erklärte der VfB-Trainer: "Als ich kam, hat er ordentlich gespielt. Doch für die gesamte Mannschaft lief es schlecht. Das nagt an einem jungen Torhüter." Inzwischen frage sich Ulreich nicht mehr, so Labbadia, "wie viel kann ich persönlich verlieren?"

Dass er nun auf eine mental gestärkte Nummer eins zurückgreifen darf, kann sich der Trainer allerdings nicht gutschreiben. Schließlich war es nicht Labbadia, sondern das Schicksal, das Ulreich nach nur 51 Minuten Pause durch die Verletzung Zieglers im Europa-League-Spiel gegen Lissabon zurückgebracht hat.

Ulreich, dessen Karriere beim VfB ohne dieses Glück wohl beendet gewesen wäre, will sich derweil von den Gesetzmäßigkeiten der Branche nicht verrücktmachen lassen. "Mal wird man zu sehr hochgejubelt, dann zu heftig kritisiert", sagt der Torwart, dem aber anzumerken war, dass er die Anerkennung von Bremen durchaus genoss.