Ex-Finanzminister Willi Stächele sieht sich wegen des Urteils zum EnBW-Deal breiter Kritik ausgesetzt - zurücktreten will er aber nicht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Landtagspräsident Willi Stächele (CDU) will nach dem Urteil des Staatsgerichtshof zum EnBW-Deal nicht zurücktreten. Entsprechende Forderungen von SPD und Grünen wies Stächele am Rande einer Auslandsreise zurück. Er habe den Aktienkauf "nach bestem Wissen und Gewissen" geprüft und "zu keiner Sekunde" Parlamentsrechte missachtet, betonte er in einer schriftlichen Erklärung. Zugleich begrüßte er, dass nun Klarheit über die künftige Anwendung des Notbewilligungsrechts in der Verfassung herrsche.

 

Stächele weilte mit dem neuen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf einer Delegationsreise in Rumänien, als der Staatsgerichtshof in Stuttgart über den "EnBW-Deal" des Expremiers Stefan Mappus (CDU) verhandelte. Die Position der früheren Landesregierung wurde dort von dem Rechtsanwalt Klaus-Peter Dolde vertreten, einstige Kabinettsmitglieder waren nicht erschienen.

Schon während der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass die Beklagten einen schweren Stand haben. Das Gericht folgte erkennbar der Argumentation von SPD und Grünen, die noch vor der Landtagswahl Klage gegen das Vorgehen von Mappus und Stächele eingelegt hatten. Die Fraktionen wurden durch die Staatsrechtler Martin Morlock und Joachim Wieland vertreten. Ihr zentrales Argument: Die Notbewilligungsklausel in der Verfassung hätte nicht angewandt werden dürfen, um das Milliardengeschäft am Landtag vorbei zu besiegeln.

Hat das Urteil auch für andere Länder Konsequenzen

Das Urteil am frühen Nachmittag war denn auch keine Überraschung mehr. Klipp und klar stellte der Gerichtspräsident Eberhard Stilz fest, dass Stächele und die Regierung Mappus mit ihrem Vorgehen die Verfassung gebrochen hätten. Für die Ausnahmeklausel gälten aus gutem Grund strenge Voraussetzungen, und die seien "nicht durchweg" erfüllt gewesen, sagte Stilz. Er betonte die hohe Bedeutung des dem Landtag vorbehaltenen Haushaltsrechts, das zu den Kernelementen der Demokratie gehöre.

Die Notbewilligungsklausel in der Landesverfassung lässt sich nach Meinung des Gerichts nicht auf Aktiengeschäfte anwenden, die - so die Argumentation von Mappus - streng geheimhaltungsbedürftig seien. Wenn der Landtag auch dafür Ausnahmen zulassen wolle, müsse er dies regeln. Dies könnte ähnlich wie bei den Nachrichtendiensten durch ein spezielles Gremium geschehen, regte Stilz an.

Nach Ansicht des Staatsrechtlers Wieland hat das Urteil über Baden-Württemberg hinaus grundsätzliche Bedeutung. Auch für andere Länder und den Bund habe es Konsequenzen. Für Mappus bleibe es zwar folgenlos, aber man könne in dessen Abwahl eine "wirksame Sanktion" sehen. Von dem früheren Ministerpräsidenten gab es zunächst keine Reaktion; zuvor hatte er Fragen zum EnBW-Deal "aus Respekt vor de Staatsgerichtshof" unbeantwortet gelassen.

SPD und Grüne sprechen von "Erblast" der Regierung Mappus

Noch im Gerichtssaal forderten die Fraktionsgeschäftsführer von SPD und Grünen den früheren Finanzminister und heutigen Landtagspräsidenten Stächele auf, Konsequenzen zu ziehen. "Wir erwarten, dass Herr Stächele von seinem Amt zurücktritt", sagte Ulrich Sckerl (Grüne). Er könne seine Aufgaben "glaubhaft nicht mehr wahrnehmen", sekundierte Andreas Stoch (SPD). Abgeordnete beider Fraktionen hätten Stächele bei der Wahl zum Parlamentschef ausdrücklich unter dem Vorbehalt des Staatsgerichtshofs-Urteils unterstützt, betonten sie.

Der CDU-Fraktionschef Peter Hauk verwies dagegen auf die Stimmen aus den beiden Fraktionen und sagte, Stächeles Rolle beim EnBW-Deal sei damals schon bekannt gewesen; insofern habe sich nichts geändert. Die Rücktrittsforderungen wies er zurück. Das Gericht habe deutlich gemacht, dass sich die Regierung in einem gewissen Dilemma befunden habe, sagte Hauk: Die aus dem Jahr 1953 stammende Landesverfassung habe den Fall von Aktiengeschäften nämlich gar nicht vorgesehen.

Diese Regelungslücke wolle man gerne zusammen mit den anderen Fraktionen schließen, bot der CDU-Vormann an. Zugleich verwies er darauf, dass das Urteil des Staatsgerichtshofs nur das Vorgehen betreffe. Die Sache - nämlich der Kauf der EnBW-Aktien - sei bis heute "politisch die richtige Entscheidung". Die neuen Regierungsfraktionen von SPD und Grünen sprechen dagegen von einer "Erblast" der Regierung Mappus; führende Vertreter sagten, sie hätten die EnBW nicht gekauft. Beide Fraktionen hatten das Geschäft im Dezember 2010 zunächst begrüßt, dann aber schnell überaus kritisch beurteilt.

Kritik an Stächele

Flott kam die Reaktion der Jungen Liberalen. Die Nachwuchsorganisation der FDP forderte kurz nach der Urteilsverkündung den amtierenden Parlamentsobersten Willi Stächele (CDU) auf, er müsse "die Konsequenzen ziehen und von seinem Amt als Landtagspräsident zurücktreten" - so der Juli-Landesvorsitzende Jens Brandenburg aus Mannheim. "Jetzt hat Stefan Mappus es schwarz auf weiß: Der EnBW-Deal war verfassungswidrig. Die Notbewilligungsklausel ist für Notstände und Naturkatastrophen gedacht, nicht als Ausrede für eine katastrophale Schuldenpolitik", so Brandenburg weiter.

Auch die Piratenpartei im Land fühlt sich in ihrer früheren Einschätzung bestätigt. Bei ihren Schlussfolgerungen aus dem Urteilspruch des Staatsgerichtshofes geben sich die Piraten aber zurückhaltender: "Wir stellen uns die Frage, ob Stächele diesem Amt nach einem solchen Kapitalfehler noch gerecht werden kann," sagte André Martens, Chef der Südwestpiraten.

Der Staatsgerichthof hütet die Landesverfassung

Richter Der Staatsgerichtshof hat neun Mitglieder. Drei davon sind Berufsrichter (der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, Eberhard Stilz, der Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, Franz-Christian Mattes, und der Präsident des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, Hans Strauß); drei sind zum Richteramt befähigt (Prof. Hermann Reichold von der Uni Tübingen, der Gerichtspräsident a.D. Prof. Joachim von Bargen und der Rechtsanwalt Prof. Peter Mailänder); drei sind dazu nicht befähigt (Ute Prechtl, der frühere Rektor der Uni Freiburg, Prof. Wolfgang Jäger, und die Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft Verdi, Leni Breymaier.

Gericht Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg entscheidet ausschließlich verfassungsrechtliche Streitigkeiten.