Der Stuttgarter Stürmer Cacau spricht über seine Formkrise, die Probleme mit dem Spielsystem Labbadias und die Perspektiven des VfB.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Lange hat er geschwiegen - doch vor dem letzten Vorrundenspiel des VfB am Samstag in Wolfsburg geht der Stürmer Cacau in die Offensive. "Aus der Mannschaft hat niemand in meiner Gegenwart gesagt: Der spielt nur für sich allein!", meint der 30-Jährige zu dem Vorwurf, er sei zu Ich-bezogen.

 

Cacau, Sie standen am Sonntag gegen den FC Bayern München wie in Bremen nicht in der Startelf. Wie gehen Sie damit um?

Es ist mein Anspruch, immer zu spielen. Also war ich natürlich sauer, als ich unmittelbar vor dem Spiel erfahren habe, dass ich auf der Bank sitze. Danach gibt es zwei Möglichkeiten, zu reagieren: Entweder man lässt den Kopf hängen - und kann bei einer Einwechslung keine Impulse mehr geben. Ich habe mir aber gesagt: jetzt erst recht.

Eigentlich gibt es ja auch zwei Cacaus. Denjenigen, der hier gerade abseits des Fußballplatzes ruhig ein Interview gibt, und den, der auf dem Feld oft wild gestikuliert und sich häufig aufregt.

Das ist schon immer so gewesen - und das ist auch gut so. Wenn ich auch auf dem Platz stets der nette Mann gewesen wäre, der hier sitzt, dann hätte ich es in meiner Laufbahn nicht soweit gebracht. Die Emotionen sind in mir. Ich probiere durch tägliche Arbeit, meine Gefühle in die richtige Bahn zu lenken. Das wird nicht immer gelingen, aber es ist auf jeden Fall besser geworden als zum Anfang meiner Karriere.

Schauen Sie sich den Cacau vom Fußballplatz hinterher gerne im Fernsehen an?

Ich kenne ihn ja schon. Manchmal denke ich mir: Der spinnt ein bisschen. Aber im Ernst: aus den Emotionen entsteht auch eine Motivation, die mich zu dem gemacht hat, was ich geworden bin.

Wenn es gut läuft, werden Ihnen die Gefühlsausbrüche positiv ausgelegt; wenn es nicht läuft, negativ. Was passt denn in Ihrem Spiel momentan nicht wie gewohnt?

Ich spiele derzeit einfach nicht so, wie man es von mir kennt. Und es fallen daher auch keine Tore. Das stellt mich, den Trainer, die Kollegen und natürlich auch die VfB-Fans nicht zufrieden.

Ist das System unter dem Trainer Bruno Labbadia mit nur einer echten Spitze ebenfalls schuld an Ihrem Formtief?

Ich habe mit dem Trainer über das System gesprochen. Ich bin häufig aus der Tiefe gekommen - und habe dann die Pässe gespielt. So konnte ich häufig mit Schwung in den Strafraum kommen, oder selbst schießen. Jetzt stellt man mir die Frage: Warum schießt du nicht mehr aus der zweiten Reihe? Da antworte ich: Ich habe ja selten die Möglichkeit dazu.

Sie haben erst vier Saisontore erzielt.

Das Problem ist ja nicht, dass ich Chancen vergebe - sondern, dass ich viel weniger bekomme. Ich habe dem Trainer auch gesagt, dass es für mich manchmal besser ist, die Chancen selbst zu kreieren, als dass ich als einzige Spitze auf sie warte. Für mein Spiel brauche ich eher vorne einen Anspielpartner, der den Ball prallen lässt.

Wie hat der Trainer reagiert?

Ich habe ihm die Rolle erklärt, die mir am besten liegt. Am Ende liegt die Entscheidung beim Trainer - wenn er sagt: Es ist für die Mannschaft besser, dass du weiter ganz vorne spielst, dann ist das okay. Auch dann werde ich weiterhin alles geben.

"Man muss damit leben kritisiert zu werden"

Fühlen Sie sich als Buhmann des Publikums? Nehmen wir das Köln-Spiel. Da gab es Pfiffe bei Ihrer Auswechslung, und Jubel für den eingewechselten Julian Schieber.

Die Fans erwarten sehr viel von mir. Das ist ja zunächst positiv, denn es zeigt, dass ich etwas Großes leisten kann. Wenn dann aber nicht viel von mir zurück kommt, ist die Enttäuschung groß - das ist klar. Ich bin ja selber nicht mit meiner Leistung zufrieden. Die Pfiffe der Fans helfen mir natürlich nicht. Aber ich muss versuchen, über der Sache zu stehen.

Auf dem Rasen gab es mit einigen Mitspielern Konflikte, etwa mit Martin Harnik, mit dem sie mehrfach aneinander geraten sind. Daraufhin wurde Ihnen das Attribut "Egoist" angeheftet. Wie stehen Sie dazu?

Die Egoismus-Vorwürfe gegen mich sind das, was mich von allem am meisten stört. Denn hier geht es um eine Charakterfrage. Wenn man jemanden als Egoisten hinstellt, dann bewertet man ihn nicht mehr sportlich. Es ist in Ordnung, einem Spieler, der schlecht spielt, schlechte Kritiken zu geben. Aber wenn es in die Richtung geht, dass man meinen Charakter infrage stellt, dann frage ich mich: Von wem kommt das? Aus der Mannschaft hat niemand in meiner Gegenwart gesagt: Der spielt nur für sich allein! Wenn dem so sein sollte, kann jeder Mitspieler mit mir reden.

Der Trainer Bruno Labbadia hat allerdings mit Ihnen über dieses Thema gesprochen.

Er hat gesagt, ich solle meine Emotionen auf jeden Fall beibehalten. Denn ich selbst, aber auch die Mannschaft, brauchen sie für unser Spiel. Er hat aber auch gesagt, ich solle sie in die richtige Richtung lenken.

Wie wichtig ist ein gesunder Egoismus für einen Stürmer?

Man muss ein Tor machen wollen - das ist sehr wichtig. Nehmen wir den Treffer von Diego aus 65 Metern für Bremen, damals gegen Aachen. Als der Ball noch in der Luft war, haben ihn einige Mitspieler beschimpft, weil es auch eine gute Kontermöglichkeit war. Als der Ball ins Tor ging, war Diego der Held. So ist das nun mal. Die Entscheidung, abzuspielen oder nicht, trifft ein Stürmer in Sekundenbruchteilen. Ich treffe sie immer, indem ich mich frage: Was ist das Beste für die Mannschaft? Und nicht: Was ist das Beste für mich?

Zeitweise haben Sie nicht mehr mit den Medien gesprochen - aufgrund der Debatten um Ihre Person?

Wer wie ich von Beruf Profifußballer ist, muss damit leben, gelobt, oder - so wie ich derzeit - öffentlich kritisiert zu werden. Da ich aber immer einige Zeit und auch Abstand brauche, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen, ist es besser für mich, erst etwas Abstand zu nehmen und dann zu reden. Ich arbeite aber daran, das zu verbessern - und hoffe, dass ich das vor meinem Karriereende noch hinkriege.

Haben Sie einen Mentaltrainer?

Mentaltrainer ist das falsche Wort. Ich habe einen Freund, der mir hilft, die richtige Balance zu finden. Dabei reden wir nicht nur über Fußball.

Apropos Balance. Wo werden sich die Leistungen des VfB in dieser Saison einpendeln?

Schwer zu sagen. Wir haben leider oft die entscheidenden Momente, in denen wir etwas hätten drauflegen können, verpasst.

Haben Sie Angst, erneut etwas mit dem Abstieg zu tun zu bekommen?

Wir sind durch die vergangene Saison vorgewarnt. Deswegen sagen wir nicht: Das kann uns definitiv nicht passieren.

Aus Cacau wird Helmut

Privatmann Mit seinem Sohn Levi, seiner Tochter Lidia und seiner Frau Tamara lebt Cacau im Remstal. „Die Kinder bekommen zu Weihnachten jeweils ein Geschenk, über das sie sich freuen“, sagt der gläubige Christ: „Aber wichtig ist, dass sie verstehen, um was es an Weihnachten geht: um die Geburt von Jesus Christus.“

Landsmann Cacau ist seit Februar 2009 deutscher Staatsbürger und bekam von seinem Ex-Teamkollegen Ludovic Magnin gleich den Spitznamen „Helmut“ verpasst.