Am Samstag ist das runderneuerte Waldaustadion eröffnet worden – und wie ist es für die Fans? Zwei StZ-Redakteure machten den Praxistest – einer auf der Haupttribüne, einer auf der Gegengerade.

Haupttribüne
Sie verschafft den Kickers bessere Bedingungen für die Vermarktung. Die Gastronomie ist okay.

 

So ein Fußballspiel dauert in der Regel kaum mehr als 93 Minuten, wer aber 450 Fußballfans mit Logentickets zu Gast hat, sollte wohl doch mehr Zeit einplanen. „Der erste Koch hat um sechs angefangen“, sagt Gastronom Axel Steinbeck, der mit Partner Heiko Krelle nun nicht mehr nur den Club Schräglage in der City betreibt, sondern auch das Waldaustadion.

Es sind noch drei Stunden bis zum jenem Schauspiel kurz vor Anpfiff, bei dem OB Fritz Kuhn seinen Freund aus Leder nicht nur an den Präsidenten Lorz übergibt, sondern ihn zuvor mit dem Innenrist streichelt, als die Küche in Schräglage gerät: „Dampfgarer an Rauchmelder: Aktivierung.“ „Rauchmelder an Dampfgarer: Feuerwehr alarmiert.“ Die Panne geht richtig ins Geld, weil sie sich nicht auf dem kleinen Dienstweg regeln lässt. Sechs Löschfahrzeuge rücken an.

Eine Stunde vor Spielbeginn füllt sich die neue Haupttribüne. Statt 1068 nie komplett verkauften Plätzen gibt es jetzt 2211. „In die Heimat kehr’n wir wieder, dieselbe Luft, dieselben Lieder“ prangt zwar vom Banner gegenüber. Weil in der alten Heimat aber neue Platznummern gelten, herrscht vielfach Orientierungslosigkeit. Zufrieden schauen dagegen Sanitäter und Polizisten drein. Sie erhalten Asyl im Tribünenbauch, früher hausten sie im Container. Vom Spiel bekommt man auf der Wache nicht viel mit. Es wird zwar live im „Dritten“ übertragen, doch die Polizei hat keinen Fernseher.

Vor dem Business-Bereich stehen Großkopfete sowie Vertreter der Stadt und die halbe CDU-Fraktion in der Schlange. Gelegenheit, sich für die Entscheidung zum Stadionausbau zu loben. Bei der Vokabel schaut der Stadtkämmereileiter Volker Schaible aber drein, als hätte er schon drei dieser herrlich-würzigen Currywürste verdrückt. Bei „Stadionausbau“ denkt er vor allem an den möglichen Zahlungsausfall für die Mercedes-Benz-Arena, sollte der VfB dieses Jahr absteigen, woran kein Kickers-Fan zweifelt.

Nun haben die „Blauen“ also auch einen beheizbaren Wintergarten mit Spielfeldblick. Kost und Logis gibt’s für 115 bis 192 Euro, es sei denn, man hat sich einladen lassen. „Wir geben 150 Prozent“, sagt Gastronom Axel Steinbeck. Viele Gäste nehmen 150 Prozent. Auf ihren Tischen sieht es aus wie bei Hempels. Gourmets wie SPD-Stadtrat Hans Pfeifer oder der Ur-Blaue AfD-Fraktionschef Bernd Klingler, der lediglich der Petersilienwurzelsuppe mehr Würze gegönnt hätte, loben die Qualität der Speisen. Wenn schon der Kuchen vom Sillenbucher „Rosenstöckle“ stammt! Am Samstag im Angebot: Krustenbraten, Kässpätzle, Geflügelbrust, Kickers-Burger, Hähnchenspieße mit Mango-Chutney, ein Salat-Bufett und geschichtete Mascarpone. Jetzt muss der DFB nur noch die Halbzeitpause verlängern. Bei Wiederanpfiff sind viele „Vips“ erst beim zweiten Gang. Würden sie sich strecken, könnten sie einen kleinen Ausschnitt vom beheizten Rasen sehen.

Der Blick des Fans auf der Gegengeraden

Gegengerade
Ein guter Platz, um die Fußball- und Baukunst gleichermaßen in den Blick zu nehmen.

So ein Stadionumbau gibt Anlass zu vielem: Anlass zur Hoffnung, die Heimmannschaft möge ihren sportlichen Höhenflug fortsetzen; Anlass, Genugtuung zu verspüren, weil die Stadt auch mal diesseits des Neckars in Sportanlagen investiert, aber auf keinen Fall Anlass, von Gewohnheiten zu lassen. Und deshalb beginnt der Besuch bei den Stuttgarter Kickers auf dem Gelände der Sportfreunde Stuttgart. Dort steht ein kleiner grüner Wohnwagen, aus dem heraus Wirt Paule Ess- und Trinkbares veräußert. Dass auch an diesem nasskalten Samstagnachmittag die Besucher scharenweise auflaufen, möchten die neuen Stadionköche von der Schräglage bitte nicht als Misstrauensvotum verstehen. Es gibt einige Angewohnheiten, die man nur schwerlich ablegt. Außerdem muss bei Paule die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. In den Zeiten, in denen die Blauen statt auf Degerlochs Höhen im Schatten des Ablbtraufs bei Reutlingen ihre Heimspiele gewannen, machte der Wirt keinen Umsatz.

Gestärkt lässt sich der eigentliche Star des Nachmittags in Augenschein nehmen. Schmuck steht sie da, die neue Haupttribüne. Die gelbe Dachunterseite wirkt vom Standort auf der Gegengerade zwar ein bisschen wie die Decke in einem beliebiegen Stadtbad. Aber entscheidend ist ja aufm Platz. Was schnell auffällt: Offensichtlich wollen noch andere Liebhaber der zeitgenössischen Sportplatzarchitektur vorbeischauen. Die später bekannt gegebenen 8200 Zuschauer fühlen sich nach mehr an. Dem Spielverlauf kann nur folgen, wer ständig in Bewegung bleibt – zumindest mit dem Hals. Aber dafür kann ja die neue Tribüne nichts.

Fußball ist häufig große Oper – bei den Kickers war’s noch viel häufiger Stummfilm. Zumindest für alle jene, die auf der Gegengerade ihren Platz haben. Die bisherige Lautsprecheranlage vermied es, das Gesagte auch bis dorthin zu übertragen. Das ist deutlich besser geworden und wir wollten uns auch schon fast freuen, bis der Stadionsprecher die offizielle Besucherzahl mit einem Wortspiel unter Verwendung des Sponsorennamens verkündet, das mehr schmerzt als die rüdeste Blutgrätsche.

Der Hauch der großen weiten Fußballwelt weht nicht über die Waldau, dafür aber ab Mitte der ersten Halbzeit schwere Dieselschwaden über den Stehrängen. Auf den zum Teil neugestalteten Parkplätzen ist auch ein Häuschen entstanden, aus dessen Dach blitzblanke Metallrohre ragen, die die Abgase an die Umwelt entlassen. Auf den Rängen wird geunkt, dies sei wohl der Notdiesel fürs Flutlicht oder vielleicht auch die Befeuerung der Rasenheizung. Wir verbuchen’s unter noch abzustellenden Kinderkrankheiten.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass sich der Umbau gelohnt hat – und dass Heimniederlagen auch vor der Kulisse einer schmucken Haupttribüne mies aussehen.