Die Wahl zum Stuttgarter Gemeinderat bringt ein buntes Gemisch an Parteien ins Rathaus. Stadtpolitik muss aber verlässlich sein, fordert der StZ-Redakteur Jörg Nauke. Dazu braucht sie eine stabile Mehrheit.

Stuttgart - Mehr als 1500 Helfer haben in Stuttgart über elf Millionen Stimmen ausgezählt. Das Prozedere bei der Gemeinderatswahl dauert trotz Computerunterstützung zwei ganze Tage, da die nachlassende Parteienidentifikation immer mehr Bürger veranlasst, ihr Stimmen über die Listen hinweg zu verteilen. Unterm Strich stehen nun moderate Veränderungen bei der Sitzverteilung im größten Rathaus des Landes.

 

Mit einem Klick auf die Grafik sehen Sie die Stimmverteilung, Gewinner und Verlierer eines Bezirks!

Der ökosoziale Block aus Grünen, SPD und SÖS/Linke hat keine absolute Mehrheit mehr, allenfalls noch eine relative. Aber er profitiert von der Schwäche des anderen Lagers. Der jahrzehntelang tonangebende konservative Block aus CDU, Freien Wählern und FDP hat infolge der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 seine Macht verloren, nun erodiert er. Die Union ist wieder die stärkste Fraktion, ihr Problem sind aber die Partner. Die Liberalen schwächeln und gehen ihren eigenen Weg, um nicht mehr als Wurmfortsatz einer zwischen Tradition und Zeitgeist schwankenden CDU wahrgenommen zu werden. Nach herben Verlusten sehen auch die Freien Wähler ihre Chance in der Demonstration größerer Eigenständigkeit. Die AfD wird man an ihren Worten und Taten messen. Verschließt sie sich einer seriösen Mitarbeit, droht ihr das Schicksal der „Republikaner“, die der Gemeinderat über viele Jahre hinweg gekonnt ignoriert hat.

Kleine Parteien werden begünstigt

Das Rathaus wird bunter, das Bürgergremium damit unberechenbarer. Elf von zwölf Listen haben mindestens einen Sitz ergattert. Neben der AfD schafften es auch die wohl eher dem linken Lager zuzuordnenden Piraten und „Stadtisten“, die „in einem Klima von Fairness und sozialer Wärme Stuttgart verändern wollen“. Für den Einzug bedurfte es nur etwas mehr als ein Prozent der Stimmen. Diese viel zu niedrige Voraussetzung ist Ausfluss des von der grün-roten Landesregierung eingeführten neuen Auszählverfahrens. Es begünstigt kleine Parteien und Gruppen.

Wohin das führt, ist am Beispiel der studentischen Gruppe Junges Stuttgart abzusehen, deren Programm sich auf die Forderung nach günstigem Wohnraum und die Förderung der Clubszene reduziert. Um im Hauptorgan Sitz und Stimme zu erhalten, muss also nicht mehr der Anspruch formuliert werden, das Wohl der gesamten Stadt im Blick zu haben. Es genügt, Partikularinteressen zu vertreten. Dass jene begünstigt wurden, die mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz fordern, kommt nicht von ungefähr. Im Rathaus wird an der Optimierung gearbeitet, etwa beim Bürgerhaushalt. Da ist Luft noch nach oben.

Den Blick für die Mitte schärfen

Die Zersplitterung und Stärkung der Ränder, vor allem aber die Schwäche der SPD veranlasst Grüne und CDU, den Blick für eine starke Mitte zu schärfen. An der Verwaltungsspitze arbeiten deren Vertreter schon lange gut zusammen. Die beiden großen Fraktionen werden in Anbetracht der Herausforderungen – Großbaustellen, Feinstaub, Sanierungsstau – kooperieren müssen, um eine verlässliche Stadtpolitik zu gestalten. Gelänge das, könnte diese Koalition durchaus als Blaupause dienen für Schwarz-Grün im Land ab 2016.

Der grüne OB Fritz Kuhn darf sich ermuntert fühlen, seinem ambitionierten Konzept von der nachhaltigen Stadt Taten folgen zu lassen. Es wäre auch höchste Zeit. Von ihm werden nun Vorschläge zur personellen und strukturellen Umgestaltung der Rathausspitze erwartet. Am Ende seiner einzigen Amtszeit wird er daran gemessen, wie prominent er die Themen Umwelt, Energiewende und nachhaltige Stadtentwicklung platziert haben wird. Und er sollte im Geiste der Gemeindeordnung – und im Interesse seiner grünen Parteifreunde – dafür sorgen, dass sich die Kräfteverhältnisse im Rat endlich auch auf der Bürgermeisterbank abbilden. Die heute von SPD und FDP besetzten Posten für Städtebau und Soziales stehen 2016 zur Wahl.

Von der kommunalen Ebene bis zum Europaparlament: Alle Ergebnisse des Superwahltages finden Sie hier!