Der Baubeginn für den Filderabschnitt ist immer noch nicht absehbar. Das könnte nicht nur zeitliche Folgen für Stuttgart 21 haben.

Stuttgart - Die Deutsche Bahn ist bei Stuttgart 21 unter Zeitdruck. Das hat Bahn-Technikvorstand Volker Kefer bei der jüngsten Sitzung des sogenannten Lenkungskreises, des obersten Entscheidungsgremiums in Sachen Stuttgart 21, eingeräumt. Wenn der Dissens mit der grün-roten Landesregierung nicht bald beigelegt werde, liefen die Zeit und Kostenpläne für das Projekt davon, so Kefer. Weitere Verzögerungen könne man sich nicht leisten.

 

Die Furcht des Konzerns ist durchaus berechtigt, hinkt er doch bei einem Streckenabschnitt dem eigenen Zeitplan gewaltig hinterher - und dies ganz ohne Zutun der neuen Landesregierung. Laut Unterlagen, die der StZ vorliegen, ging die Bahn-Tochter DB Netz im Jahr 2009 für den Planfeststellungsabschnitt 1.3 - also den Bereich zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafen inklusive Neubau eines unterirdischen ICE-Halts am Airport - noch von einer Baugenehmigung im ersten Quartal des Jahres 2011 aus.

Die Ausschreibung der Bauleistungen sollte den Papieren zufolge noch im Jahr 2011 erfolgen, Baubeginn wäre demnach das Jahr 2013 gewesen; die Fertigstellung der Teilstrecke war zeitgleich mit der Eröffnung des Tiefbahnhofs und der ICE-Trasse nach Ulm zum Fahrplanwechsel 2019/2020 vorgesehen.

Klage bleibt  bei der Neubaustrecke ohne aufschiebende Wirkung

Mittlerweile schreibt man Anfang Oktober 2011, und die Bahn ist noch immer damit beschäftigt, ihre Planunterlagen an das Eisenbahnbundesamt (Eba) zu vervollständigen. "Die Vorhabenträgerin überarbeitet derzeit die Antragsunterlagen für den Planfeststellungsabschnitt 1.3 - unter anderem im Hinblick auf Fragen der Kapazität. Die weitere Erörterung dieses Themas wurde auf Wunsch der Vorhabenträgerin so lange ausgesetzt", teilte ein Eba-Sprecher auf StZ-Anfrage vor wenigen Tagen mit.

Frühestens im November könnte das Verfahren mit dem Abschluss der Prüfung und Genehmigung der Unterlagen durch das Eba und deren Übermittlung an das für das Verfahren zuständige Regierungspräsidium (RP) Stuttgart offiziell eingeleitet werden. Im März 2012 würde dann das öffentliche Erörterungsverfahren folgen, bei dem Stadtverwaltungen, betroffene Bürger oder Naturschutzverbände Einwände gegen die Planung geltend machen können.

Erst nach Abschluss der Anhörung und Bewertung der Argumente ergeht der Planfeststellungsbeschluss. Nach Angaben des Stuttgart-21- Kommunikationsbüros betrug die bisher kürzeste Verfahrensdauer bis zur Baugenehmigung beim Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ein Jahr (Planfeststellungsabschnitt 1.5a Ulm Donaubrücke), am längsten dauerte es mit mehr als dreieinhalb Jahren beim Abschnitt 1.4 (Filderbereich bis Wendlingen).  Hinzu kommt, dass Betroffene gegen einen Planfeststellungsbeschluss vor Gericht ziehen können. Im Fall der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm wäre ein solcher Schritt freilich ohne Belang, da die ICE-Trasse vom Bund als "vordringlicher Bedarf" ausgewiesen wurde und somit die Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Im Klartext: die Bahn darf trotzdem weiterbauen.

Baukosten drohen Makulatur zu werden

Anders verhält es sich beim zu Stuttgart 21 gehörenden Abschnitt 1.3, der die aus Richtung Singen kommenden Fernzüge über die bestehende S-Bahn-Strecke mitten durch die Stadt Leinfelden-Echterdingen bis zum Flughafen und dann auf die ICE-Trasse leiten soll. Da Stuttgart 21 laut Bundesverkehrsministerium kein Bedarfsplanprojekt des Bundes ist, dürften die Bauarbeiten auf den Fildern nicht beginnen, bevor nicht alle Prozesse rechtskräftig abgeschlossen sind.

Das räumt auch die Bahn ein. Die Schutzgemeinschaft Filder hat bereits angekündigt, die Gerichte anzurufen. Allerdings hätte das Eba nach StZ-Recherchen die Möglichkeit, wegen besonderer Eilbedürftigkeit des Großprojekts auf Antrag der BahnAG einen Sofortvollzug der Baumaßnahmen anzuordnen.

Addiert man die bereits eingetretenen und möglichen Zeitverzögerungen, kommt man zu dem Ergebnis: Im besten Fall wird der Abschnitt 1.3 zwei Jahre nach der geplanten Inbetriebnahme fertig - im schlechtesten Fall könnte es aber auch etwa fünf Jahre dauern, bis Züge aus Richtung Singen wie geplant den Flughafen direkt anfahren können, ohne den Umweg via Gäubahn über den Tiefbahnhof und den Fildertunnel nehmen zu müssen. Mit anderen Worten: die geplante Fertigstellung von Stuttgart 21 bis Ende 2019 verzögert sich in jedem Fall, die von der Bahn kalkulierten Baukosten von 4,088 Milliarden Euro für Stuttgart 21 wären Makulatur.

Wolfgang Dietrich zeigt sich zuversichtlich

Zudem könnten sich im Lauf des Planfeststellungsverfahrens Änderungen ergeben, die weitere Zusatzkosten verursachen würden. So liegen nach StZ-Informationen bereits geänderte Pläne für den Filderbahnhof in der Schublade: Demnach könnte der ICE-Halt näher an das bestehende S-Bahn-Terminal heranrücken. Das deutet darauf hin, dass sich die Bahn für eine neue Trassenplanung wappnet - zumal konzernintern die derzeit verfolgte Sparvariante als nicht optimal eingestuft wird, nach der S-Bahn, Regional- und Fernverkehr ein und dieselbe Strecke befahren dürfen.

S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich teilte auf Anfrage mit, das Verfahren zum Planfeststellungsabschnitt 1.3. laufe derzeit: "Die Bahn geht davon aus, dass die Unterlagen in den kommenden Wochen dem Regierungspräsidium zur weiteren Bearbeitung übergeben werden." Trotz des bereits eingetretenen Zeitverzugs zeigt sich Dietrich zuversichtlich: "Der Planfeststellungsabschnitt 1.3. gehört nicht zum kritischen Weg. Die Bahn liegt hier im Plan."

Auf den Fildern regt sich Widerstand

Verspätung

Dass die Deutsche Bahn mit ihren Planungen beim Abschnitt 1.3 so weit zurückhängt, liegt hauptsächlich daran, dass sie jahrelang auf die von dem damaligen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) zugesagte und erst 2010 von seinem Nachfolger Peter Ramsauer (CSU) erteilte Ausnahmegenehmigung für den Abschnitt 1.3 warten musste. Demnach dürfen – allerdings unter Auflagen – auf den S-Bahn-Gleisen zwischen Rohrer Kurve und Flughafen sowohl Nah- als auch Regional- und Fernverkehrszüge fahren. Zudem beklagt die Bahn die mangelnde Personalausstattung des Eisenbahnbundesamts, das die eingereichten Pläne prüft und wiederholt auf Nachbesserungen drang.

Protest

Auf den Fildern regt sich seit geraumer Zeit Widerstand gegen die geplante Trassenführung. In Leinfelden-Echterdingen und in Filderstadt plädieren Kommunalpolitiker und Anlieger der S-Bahn-Strecke für eine eigene, autobahnnahe Fernverkehrstrasse. Die Bürgerinitiativen „Schutzgemeinschaft Filder“ und „Kein ICE durch L.-E.“ lehnen das gesamte Projekt Stuttgart 21 ab. Die Bahn drückt derweil aufs Tempo: Sie hat beim Regierungspräsidium Stuttgart beantragt, eine sogenannte Lichtwellenleitung durch das Naturschutzgebiet Weidach- und Zettachwald verlegen zu dürfen. Der Hintergrund: örtliche Grundstücksbesitzer hatten sich geweigert, für das Baufeld anderweitig Grundstücke zur Verfügung zu stellen.