Man sieht sie im Nachtleben, auf Demonstrationen und bei Kunstaktionen: Die Mitglieder des White Rabbit Vereins hoppeln in Hasenkostümen für die Stuttgarter Subkultur durch den Kessel.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wer dem weißen Hasen bisher auf seinem Weg durch die Landeshauptstadt gefolgt ist, der feierte ganz am Anfang geheime Partys im Stuttgarter Untergrund, demonstrierte dann gegen das Verschwinden von Clubs wegen S 21 und ist heute Teil eines Vereins. Der Follow the White Rabbit e. V. ist seit einem Monat amtlich eingetragen und betreibt laut Satzung „Fantasieförderung“. Der Name, das Motiv und die Aktivität der Gruppe haben den zuvor höchstens aus „Alice im Wunderland“ bekannten, voraushoppelnden weißen Hasen in Stuttgart zu einer Marke gemacht, positioniert am Markt für die kulturinteressierte Party-Avantgarde.

 

„Das ist kein Zufall, wir arbeiten ja beide irgendwie mit Marken“, sagt David Römmler. Der 29-Jährige studiert Medien- und Kulturmanagement und arbeitet nebenher bei einem großen Stuttgarter Theater. Follow the White Rabbit hat er mit Bernhard Tewes gegründet. Der 32-Jährige sorgt bei guten Stuttgarter Adressen für das Catering.

Tewes stammt aus Osnabrück, Römmler kommt vom Bodensee. Und beide machen sich Sorgen um die Stuttgarter Subkultur, um unkonventionelle Formen und Orte des Feierns, um alternative Kulturproduktion. Zu den bekannteren Beispielen zählen die Zwischennutzung der Marienpassage kurz vor ihrem Abriss im vergangenen Frühjahr oder die Künstlerkolonie am Nordbahnhof.

Kennengelernt haben sich Tewes und Römmler vor ein paar Jahren bei der Arbeit – und zwar da, wo Stuttgart wohl am wenigsten alternativ ist: beim Musical im SI-Centrum. Privat trieben sie sich lieber in für Stuttgarter Verhältnisse abseitigen Lokalitäten herum: im inzwischen abgerissenen Z-Club in der Nordbahnhofstraße, im Rocker 33 in der ehemaligen Bahndirektion, im Landespavillon am Schlossgarten, in der Röhre neben dem Wagenburgtunnel. Die Mehrzahl der Nachtlokale und Clubs an jenen Orten ist inzwischen Geschichte. Schuld daran ist Stuttgart 21.

Weiße Hasen gegen den Tiefbahnhof

Schade drum, dachten sich Tewes und Römmler anno 2010, als das Verschwinden dieser Kulturstätten bereits absehbar war. Also starteten sie ihre Rettungsaktion und gingen gegen das Bahnhofsprojekt auf die Straße. Erst ließen sie in einem Videofilm einen Plüschhasen durch Stuttgart hoppeln. Weil das gut ankam, schlüpften sie dann selbst in weiße Hasenkostüme: hundert Prozent Polyester, Einheitsgröße, unkaputtbar und für 49,90 Euro im Faschingsversand erhältlich.

Das hielten noch mehr S-21-Gegner und Subkulturfreunde für lustig und finanzierbar. Die Hasen auf den Demos vermehrten sich so schnell wie die Karnickel im Schlossgarten. In den Kostümen stecken Friseurinnen und Ingenieure sowie alles dazwischen, die meisten sind um die dreißig. Vor allem via Facebook habe man die Hasenidee bekanntgemacht, sagt David Römmler. Die Rabbit-Partys, die die vom regelmäßigen Montagsdemogang nicht ausgelastete Langohrencommunity in der Röhre und nach deren Schließung an wechselnden Orten organisierte, spülten schließlich noch weitere Freizeithasen in die Gruppe.

Was sich nach Klamauk anhört und nach Aussage der Vereinsgründer von modernen Schnitzeljagden für Untergrundpartys abgeschaut wurde, ist in Wahrheit ein Lehrstück in politischer Lobbyarbeit. Nicht, dass die Hasen sich von einer Partei vor den Karren spannen ließen. Doch mit ihrem Outfit und ihrem Auftreten haben sie den Stuttgart-21-Widerstand zeitweise mit einem selbstironischen Unterton bereichert und sich als Fürsprecher der inzwischen selbstbewusster auftretenden Stuttgarter Subkultur positioniert. Jetzt sitzen die Vereinsgründer sogar in einer von der regionalen Wirtschaftsförderung initiierten Expertenrunde für Kultur im öffentlichen Raum.

Hoppeln für die Kunst

Seit der Volksabstimmung hoppeln die Hasen nicht mehr gegen Stuttgart 21. Mittlerweile sieht man die weißen Kostüme häufiger bei Spaßveranstaltungen und seltener auf Demonstrationen. Technopartys haben die Hasen schon vor der Vereinsgründung organisiert, vor Pfingsten luden sie zur öffentlichen Wasserschlacht auf dem Schlossplatz. Künftig soll es aber auch stärker um Kultur gehen: die Mitgliedsanträge sind von Künstlern gestaltet, es gibt Kunstaktionen bei den Partys, ein Film über den Kampf gegen die Denkmalschutzbehörde und für den „Rosa Tunnel“ ist bald fertig. Die Decke der Bahnunterführung Wolframstraße, so der (nicht genehmigte) Plan, sollte rosarot angestrichen werden und die Autofahrer und Fußgänger für kurze Zeit in eine kindlich-bunte Welt entführen. Je schräger, desto besser.

Die Oberhasen gehen gerne auf Vernissagen, besuchen Technoclubs und mögen verquere Kunstaktionen. Sie wissen, was die Szene braucht und können das artikulieren. Wer bei Tewes und Römmler nachfragt, bekommt statt schiefer Sprüche klare kommunalpolitische Positionen aufgetischt. Man könne die Stuttgarter Bunker zu Kulturräumen machen, lautet ein Vorschlag. Die Stadt solle sich um günstige Mieten für Kunstschaffende bemühen, ein anderer. Parkplatzabgaben für Discos in der Innenstadt machten keinen Sinn, die Konzessionsgebühren müssten gesenkt werden, nächtlicher Lärmschutz in umgenutzten Gewerbeimmobilien sei Quatsch: auch dafür hoppeln die Hasen durch Stuttgart. Der Unterschied zu anderen politischen Akteuren außerhalb der Parteienlandschaft: sie formulieren ihre Forderungen nicht nur, ihre Aktionen machen auch noch Spaß.

Dass sie auch selbst von dem Eingeforderten profitieren wollen, daraus machen die Langohren keinen Hehl. Man kann das egoistisch nennen oder ehrlich. Kritiker halten es den Partyprotestlern so oder so vor. Und es gibt genügend Kritiker: bei den Stuttgart-21-Befürwortern waren sie noch nie beliebt, bei den Gegnern sind sie es inzwischen auch nicht mehr. Für Kulturpolitiker, Immobilienmakler und Discogänger mit Doppelbuchstaben am Autokennzeichen stellen sie eine Provokation dar. „In Stuttgart gibt es viel Establishment“, sagt David Römmler. Er meint: „Wir sind nicht Teil davon.“

Partys als politisches Kampfmittel

Stattdessen wollen die Hasen „friedlich, freundlich, fröhlich, flauschig“ sein, so schreibt es jedenfalls die selbst verfasste Hasenethik vor. Sie wirken wie ein Nachwuchsprojekt für Faschingsvereine, um Karneval geht es aber bei der Idee nur bedingt – auch wenn der Chefhase bei diesem Thema beinahe schon philosophisch werden kann: „Was ist denn eigentlich so schlimm daran, in einem weißen Hasenkostüm herumzulaufen?“, fragt Bernhard Tewes. „In Berlin würde man damit überhaupt nicht auffallen.“ In Stuttgart setze sich die Erkenntnis leider erst langsam durch, „dass wir uns eh dauernd verkleiden – und dass Verkleiden etwas Befreiendes hat“.

Im Nachtleben tauchen jedenfalls immer mehr Hasen auf, und der Follow the White Rabbit e. V. zählt bereits dreißig Mitglieder, die (in Zivil) regelmäßig zu den Vereinssitzungen im Jugendhaus Ost kommen. Ja, richtig: Vereinssitzungen. „Strukturen geben Sicherheit“, sagt Bernhard Tewes. Das gilt auch für fantasiefördernde Hasen.

Partys als politisches Kampfmittel: Diese mit Technobeats unterlegte Subversion scheint ganz gut zu funktionieren, wenn sich Künstler, Eventprofis und Partygäste zur Subkulturlobby zusammentun. Genau die steckt nämlich unter den unkaputtbaren weißen Polyesterkostümen. Lobbyisten brauchen eben ein dickes Fell. Außerdem: Wer hat schon was gegen Hasen?